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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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rauhen Zärtlichkeit angerührt schien. »Ich wollte, ich wäre er«, sagte er heiser. »Ich erinnere mich, daß er sie mehr als jeder andere beobachtete, wo immer sie ging. Sie war seine Luft, und jetzt ist er verschmachtet. Er ist einfach tot.«
    »Wir sind alle tot«, sagte Seymour mit seltsamer Stimme und blickte die Straße hinab.
    Sie nahmen an der Straßenecke Abschied von Father Brown mit einigen flüchtigen Entschuldigungen hinsichtlich irgendwelcher Unhöflichkeiten, die vielleicht vorgefallen seien. Ihrer beider Gesichter waren tragisch, aber auch verschlossen.
    Der Geist des kleinen Priesters war immer ein Kaninchengehege voller wilder Gedanken, die zu schnell umherhüpften, als daß er sie hätte festhalten können. Wie der weiße Schwanz eines Kaninchens schoß ihm der Gedanke durch den Sinn, daß er ihrer Trauer sicher war, ihrer Unschuld aber nicht so sicher.
    »Wir sollten besser gehen«, sagte Seymour schwer; »wir haben alles getan, was wir konnten, um zu helfen.«
    »Ob Sie wohl meine Beweggründe verstehen«, fragte Father Brown ruhig, »wenn ich sage, daß Sie alles getan haben, was Sie konnten, um zu schaden?«
    Beide fuhren sie wie schuldig zusammen, und Cutler fragte scharf: »Wem zu schaden?«
    »Sich selbst zu schaden«, antwortete der Priester. »Ich würde Ihren Kummer nicht noch erschweren, wenn es nicht einfacher Gerechtigkeitssinn wäre, Sie zu warnen. Sie haben fast alles getan, was Sie konnten, um sich selbst zu hängen, wenn dieser Schauspieler freigesprochen werden sollte. Man wird mich sicherlich als Zeugen vorladen; und dann muß ich sagen, daß Sie beide, nachdem der Schrei gehört worden war, in aufgelöstem Zustand in das Zimmer stürzten und sich um einen Dolch zu streiten begannen. So weit ich unter Eid aussagen kann, könnte jeder von Ihnen beiden es getan haben. Damit haben Sie sich geschadet; und dann mußte sich Hauptmann Cutler auch noch mit dem Dolch schaden.«
    »Mir schaden!« rief der Hauptmann verächtlich aus. »Ein dummer kleiner Kratzer.«
    »Der Blut fließen ließ«, erwiderte der Priester nickend. »Wir wissen, daß jetzt Blut auf der Bronze ist. Und deshalb werden wir nie erfahren, ob bereits vorher Blut da war.«
    Schweigen herrschte; und dann sagte Seymour mit einem Nachdruck, der seiner üblichen Redeweise ganz fremd war: »Aber ich habe doch einen Mann in der Passage gesehen.«
    »Ich weiß, daß Sie einen Mann sahen«, sagte der Kleriker Brown mit hölzernem Gesicht, »und Hauptmann Cutler sah auch einen Mann. Das macht es so unwahrscheinlich.«
    Bevor einer von ihnen sich darüber genügend klar werden konnte, um auch nur zu antworten, hatte Father Brown sich höflich entschuldigt und stapfte mit seinem zerfledderten alten Regenschirm die Straße hinauf.
    Wie moderne Zeitungen geleitet werden, sind die ehrlichsten und wichtigsten Nachrichten die Polizeinachrichten. Wenn es zutrifft, daß im 20. Jahrhundert dem Mord mehr Platz eingeräumt wird als der Politik, so aus dem ausgezeichneten Grund, daß Mord ein ernsthafteres Thema ist. Aber selbst das könnte kaum die ungeheure Allgegenwart des »Falles Bruno« oder des »Geheimnisses der Passage« und die weite Verbreitung der Einzelheiten in der Londoner wie in der Provinzpresse erklären. So groß war die Aufregung, daß die Presse für einige Wochen tatsächlich die Wahrheit berichtete; und so sind denn die unendlichen, ja selbst unerträglichen Berichte über die Verhöre und die Kreuzverhöre wenigstens zuverlässig. Der wahre Grund lag natürlich im Zusammentreffen der Persönlichkeiten. Das Opfer war eine beliebte Schauspielerin; der Angeklagte war ein beliebter Schauspieler; und der Angeklagte war sozusagen mit blutigen Händen vom populärsten Soldaten der patriotischen Saison gefaßt worden. Diese außergewöhnlichen Umstände zwangen die Presse zur Aufrichtigkeit und Genauigkeit; und so kann denn der Rest dieser ziemlich einzigartigen Geschichte aus den Reportagen über Brunos Verfahren berichtet werden.
    Dem Verfahren saß Richter Monkhouse vor, einer jener, die als witzige Richter verhöhnt werden, die aber im allgemeinen viel ernsthafter sind als die ernsthaften Richter, denn ihre Leichtfertigkeit entspringt ihrer lebendigen Ungeduld professioneller Feierlichkeit gegenüber; während der ernsthafte Richter in Wahrheit voller Frivolität steckt, weil er voller Eitelkeit steckt. Da alle hauptbeteiligten Personen von irdischer Bedeutung waren, hatte man die Anwälte sorgsam ausbalanciert;

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