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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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wie alle heroischen Waffen, aber eigenartigerweise immer noch scharf genug, um jemand damit zu stechen. Er sei besonders durch die blattähnliche Form angezogen worden; vollkommen wie eine griechische Vase. Wenn das für Miss Rome von irgendeinem Interesse sei, oder vielleicht in der Aufführung gebraucht werden könne, hoffe er, daß sie –
    Die Verbindungstür flog auf und eine mächtige Gestalt erschien, die zum erklärungsfreudigen Seymour einen noch größeren Gegensatz bildete als sogar Hauptmann Cutler. Fast 6 Fuß 6 hoch und von mehr als theatralischen Sehnen und Muskeln, glich Isidore Bruno in dem prächtigen Leopardenfell und den goldbraunen Gewändern Oberons einem heidnischen Gott. Er lehnte sich auf eine Art Jagdspeer, der auf einer Bühne wie ein leichter silberner Stab wirkte, aber in dem kleinen und verhältnismäßig überfüllten Raum so einfach wie eine Lanze aussah – und so bedrohlich. Seine lebhaften schwarzen Augen rollten vulkanisch, sein bronzefarbenes Gesicht, wie schön auch immer, zeigte in jenem Augenblick eine Kombination von hohen Wangenknochen und zusammengebissenen Zähnen, die an gewisse amerikanische Vermutungen betreffend seine Herkunft von Südstaatenplantagen erinnerte.
    »Aurora«, begann er mit seiner tiefen, leidenschaftlich dröhnenden Stimme, die so viele Zuschauer bewegt hatte, »willst du – «
    Er brach unentschlossen ab, weil eine sechste Figur plötzlich in der Tür aufgetaucht war – eine mit der Szene so unvereinbare Figur, daß sie schon fast komisch wirkte. Es war ein sehr kurzer Mann in der schwarzen Uniform des römischen Weltklerus, und er sah (besonders in solcher Gegenwart wie der von Bruno und Aurora) eher dem hölzernen Noah aus einer Arche ähnlich. Jedoch schien er sich keines Kontrastes bewußt zu sein, sondern sagte mit einfacher Höflichkeit: »Ich glaube, daß Miss Rome nach mir geschickt hat.«
    Ein gewiefter Beobachter würde bemerkt haben, daß die emotionale Temperatur bei dieser so unemotionalen Unterbrechung ziemlich anstieg. Die Abgelöstheit eines berufsmäßigen Zölibatärs schien den anderen deutlich zu machen, daß sie die Frau umstanden wie ein Kreis von Liebesrivalen; so wie das Eintreten eines Fremden mit Eis am Mantel deutlich macht, daß der Raum heiß wie ein Schmelzofen ist. Die Anwesenheit dieses einen Mannes, der an ihr nicht interessiert war, steigerte Miss Romes Gespür dafür, daß jeder andere in sie verliebt war, und jeder auf eine gewissermaßen gefährliche Weise: der Schauspieler mit all der Gier eines Wilden und eines verzogenen Kindes; der Soldat mit all der einfachen Selbstigkeit eines Mannes von Willen statt von Geist; Sir Wilson mit jener sich täglich verstärkenden Konzentration, mit der alte Hedonisten sich einem Hobby hingeben; und selbst der unterwürfige Parkinson, der sie bereits vor ihren Triumphen gekannt hatte und ihr zu Auge oder zu Fuß durch den Raum folgte, mit der dumpfen Hingabe eines Hundes.
    Ein gewiefter Mensch würde aber auch etwas noch Eigenartigeres bemerkt haben. Der Mann wie ein schwarzer Holznoah (der nicht ganz ohne Gewieftheit war) bemerkte es mit erheblicher aber verhohlener Belustigung. Es war offensichtlich, daß die große Aurora, obwohl der Bewunderung durch das andere Geschlecht keineswegs abhold, in diesem Augenblick all jene Männer loswerden wollte, die sie bewunderten, um mit jenem Mann allein gelassen zu werden, der das nicht tat – sie jedenfalls nicht in diesem Sinne bewunderte; denn der kleine Priester bewunderte und genoß die entschlossene weibliche Diplomatie, mit der sie sich an ihre Aufgabe machte. Es gab vielleicht nur eine Sache, in der Aurora Rome wirklich klug war, und das war die Hälfte der Menschheit – die andere Hälfte. Der kleine Priester beobachtete wie einen napoleonischen Feldzug die rasche Genauigkeit ihrer Politik, alle zu vertreiben und keinen zu verbannen. Bruno, der große Schauspieler, war so kindisch, daß es leicht war, ihn fortzuschicken, ungezogen schmollend und die Tür zuschlagend. Cutler, der britische Offizier, war dickfellig gegenüber Gedanken, aber dünnhäutig in Sachen des guten Benehmens. Er würde alle Winke ignorieren, aber eher sterben, als einen eindeutigen Auftrag einer Dame zu ignorieren. Was den alten Seymour anging, so mußte er ganz anders behandelt werden; er mußte bis zuletzt bleiben. Der einzige Weg, ihn hinauszubewegen, war, sich vertrauensvoll an ihn zu wenden wie an einen alten Freund, ihn ins Geheimnis dieser

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