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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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kaum über den Zeugenstand ragte, so daß es aussah, als werde ein Kind kreuzverhört. Unglücklicherweise hatte sich in Sir Walters Kopf der Gedanke festgesetzt (vor allem wegen einiger Verzwicktheiten in der Religion seiner Familie), daß Father Brown auf der Seite des Gefangenen stehe, weil der Gefangene böswillig und ausländisch und sogar teilweise schwarz war. Deshalb fuhr er Father Brown jedesmal scharf an, wenn jener stolze Kirchenfürst es wagte, irgend etwas erklären zu wollen; und befahl ihm, mit Ja oder Nein zu antworten und die einfachen Tatsachen ohne alle Jesuiterei zu erzählen. Als Father Brown in seiner Einfalt darüber zu berichten begann, wer seiner Meinung nach der Mann in der Passage gewesen sei, erklärte ihm der Staatsanwalt, er wünsche seine Theorien nicht.
    »Eine schwarze Form wurde in der Passage gesehen. Und Sie sagen, Sie haben die schwarze Form gesehen. Also gut, welche Form war das?«
    Father Brown zwinkerte, als sei er getadelt worden; aber er kannte seit langem die wörtliche Natur des Gehorsams. »Die Form«, sagte er, »war kurz und dick, aber hatte zwei scharfe schwarze Auswüchse, die sich an jeder Seite des Kopfes oder oben hochwölbten, ähnlich wie Hörner, und – «
    »Oha! Der Teufel mit Hörnern, zweifellos«, stieß Cowdray hervor und setzte sich in triumphierender Heiterkeit nieder. »Es war der Teufel, der gekommen ist, um Protestanten zu fressen.«
    »Nein«, sagte der Priester leidenschaftslos; »ich weiß, wer es war.«
    Die im Gerichtssaal Anwesenden waren in ein irrationales aber höchst reales Gefühl irgendeiner Ungeheuerlichkeit geraten. Sie hatten die Gestalt auf der Anklagebank vergessen und dachten nur an die Gestalt in der Passage. Und die Gestalt in der Passage, die von drei fähigen und ehrenwerten Männern beschrieben wurde, welche sie alle gesehen hatten, wurde zu einem sich wandelnden Albtraum: einer nannte sie eine Frau, und der andere ein Tier, und der nächste einen Teufel…
    Der Richter sah Father Brown mit stetigen und durchdringenden Augen an. »Sie sind ein außergewöhnlicher Zeuge«, sagte er; »aber irgend etwas an Ihnen überzeugt mich davon, daß Sie sich bemühen, die Wahrheit zu sagen. Alsdann, wer war der Mann, den Sie in der Passage gesehen haben?«
    »Er war ich«, sagte Father Brown.
    Anwalt Butler sprang in der außerordentlichen Stille auf und sagte sehr ruhig: »Erlaubt mir das Hohe Gericht Kreuzverhör?« Und dann, ohne Pause, schoß er gegen Brown die offenkundig zusammenhanglose Frage ab: »Sie haben von diesem Dolch gehört; Sie wissen, daß die Fachleute behaupten, das Verbrechen sei mit einer kurzen Klinge begangen worden?«
    »Eine kurze Klinge«, stimmte Brown zu und nickte feierlich wie eine Eule, »aber ein sehr langer Schaft.«
    Noch ehe die Zuhörer sich ganz von der Vorstellung befreien konnten, der Priester habe sich wirklich selbst gesehen, wie er den Mord mit einem kurzen Dolch an einem langen Schaft (was die Sache irgendwie noch schauerlicher machte) beging, beeilte er sich mit einer Erklärung.
    »Ich meine, Dolche sind nicht die einzigen Dinge mit kurzen Klingen. Speere haben auch kurze Klingen. Und auch Speere treffen mit der Stahlspitze wie Dolche, wenn es sich um jene Art von nachgemachten Speeren handelt, wie man sie im Theater hat; wie der Speer, mit dem der arme alte Parkinson seine Frau tötete, die gerade nach mir geschickt hatte, um die familiären Schwierigkeiten zu regeln – und ich kam um einen Augenblick zu spät, Gott verzeihe mir! Aber er starb in Reue – er starb geradezu aus Reue. Er konnte nicht ertragen, was er getan hatte.«
    Der allgemeine Eindruck im Gerichtssaal war, daß der kleine Priester, der da vor sich hin brabbelte, im Zeugenstand buchstäblich verrückt geworden sei. Aber der Richter sah ihn nach wie vor mit hellen und stetigen Augen voller Interesse an; und der Anwalt der Verteidigung fuhr ungerührt mit seinen Fragen fort.
    »Wenn Parkinson es mit jenem Theaterspeer getan hat«, sagte Butler, »dann muß er ihn aus etwa 4 Metern Entfernung geschleudert haben. Wie erklären Sie sich dann die Anzeichen eines Kampfes, zum Beispiel das von der Schulter gezerrte Kleid?« Er hatte begonnen, seinen einfachen Zeugen wie einen Fachmann zu behandeln; aber im Augenblick bemerkte das niemand.
    »Das Kleid der armen Dame war zerrissen«, sagte der Zeuge, »weil es sich in einem Rahmen verfangen hatte, der gerade hinter ihr herausglitt. Sie bemühte sich freizukommen, und während sie das

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