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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Gefängnis von Chicago war – wo die irische Bevölkerung ihre Fähigkeiten sowohl zum Verbrechen wie zur Reue dermaßen auslebte, daß er reichlich zu tun hatte. Der ranghöchste Beamte nach dem Direktor war ein ehemaliger Detektiv namens Greywood Usher, ein skelettdürrer Yankee-Philosoph der behutsamsten Sprache, der ab und zu seinen starren Gesichtsausdruck gegen eine seltsam um Entschuldigung bittende Grimasse auswechselte. Er mochte Father Brown auf eine leicht bevormundende Weise; und Father Brown mochte ihn, obwohl er seine Theorien von Herzen verabscheute. Seine Theorien waren ungewöhnlich kompliziert und wurden mit ungewöhnlicher Schlichtheit vertreten.
    Eines abends hatte er nach dem Priester geschickt, der nach seiner Gewohnheit schweigend an einem mit Papieren überladenen und übersäten Schreibtisch Platz nahm und wartete. Der Beamte suchte aus den Papieren einen Zeitungsausschnitt heraus, den er dem Kleriker reichte, welcher ihn aufmerksam las. Es war ein Ausschnitt aus einem der buntesten Blätter der Regenbogenpresse, und er lautete wie folgt:
     
    »Der fröhlichste Witwer der Gesellschaft ist wieder auf seiner Festessen-mit-Überraschungen-Tour. Alle Mitglieder unserer feinsten Gesellschaft werden sich noch des Kinderwagenparadefestessens erinnern, während dem ›Letzter-Trick‹ Todd in seinem anheimelnden Palast am Pilgrim’s Pond so viele unserer prominenten Debütantinnen noch jünger als ihre Jahre aussehen ließ. Ebenso elegant, aber noch gemischter und in gesellschaftlicher Hinsicht weitherziger war Letzter-Tricks Schau im Vorjahr, der populäre Kannibalenkauschmaus, bei dem das gereichte Konfekt höhnisch den Formen menschlicher Gliedmaßen nachgebildet war und während dem man mehr als einen unserer witzigsten Geistesriesen sich anbieten hören konnte, die Partnerin zu verspeisen. Der Witz, der den diesjährigen Abend befeuern soll, ist noch in Mr. Todds reichlich verschlossenem Geist verborgen, oder in den Juwelenbusen der heitersten Herrscherinnen unserer Stadt verschlossen; doch munkelt man von einer poppigen Parodie auf die einfachen Sitten und Gebräuche am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala. Dies wäre um so effektvoller, als der gastfreie Todd zur Zeit in Lord Falconroy, dem berühmten Weltreisenden, einen reinblütigen Aristokraten frisch aus Englands Eichenhainen beherbergt. Lord Falconroys Reisen begannen, bevor noch sein uralter Feudaltitel wieder auferstand; in seiner Jugend hielt er sich in der Republik auf, und in Gesellschaftskreisen munkelt man über einen heimlichen Hintergrund seiner Rückkehr. Miss Etta Todd ist eine unserer lieblichsten New Yorkerinnen und wird einmal fast 1200 Millionen Dollar erben.«
     
    »Nun«, fragte Usher, »interessiert Sie das?«
    »Mir fehlen die Worte«, antwortete Father Brown. »Ich kann im Augenblick an nichts auf der Welt denken, was mich noch weniger interessierte. Und falls der gerechte Zorn der Republik nicht endlich dazu übergeht, Journalisten, die so was schreiben, auf dem elektrischen Stuhl zu braten, sehe ich auch nicht recht, warum Sie das interessieren sollte.«
    »Soso!« sagte Mr. Usher trocken und reichte ihm einen anderen Zeitungsausschnitt. »Na schön, interessiert Sie das vielleicht?«
    Der Abschnitt war betitelt »Brutaler Mord an Aufseher. Häftling Entflohen«, und lautete:
     
    »Kurz vor Tagesanbruch wurde heute in der Strafanstalt von Sequah in diesem Staat ein Hilfeschrei gehört. Beamte, die zum Ort des Schreis eilten, fanden den Leichnam des Aufsehers, der auf der Nordmauer des Gefängnisses Wache ging, dem steilsten und schwierigsten Fluchtweg, für dessen Bewachung immer ein Mann für ausreichend befunden wurde. Der unglückliche Beamte war von der hohen Mauer herabgeschleudert worden, wobei sein Gehirn zerspellt war, wie mit einer Keule zerschmettert; sein Gewehr fehlte. Weitere Nachforschungen ergaben, daß eine der Zellen leer war; sie war bisher mit einem ziemlich düsteren Raufbold belegt, der sich Oscar Rian nannte. Er saß zwar nur kurzfristig wegen eines verhältnismäßig harmlosen Überfalls ein; doch vermittelte er jedermann den Eindruck, als habe er eine schwarze Vergangenheit und eine gefährliche Zukunft. Als schließlich das Tageslicht die Szene des Mordes voll erhellte, stellte man fest, daß er an die Wand über der Leiche einen unvollständigen Satz geschrieben hatte, offenbar mit einem in Blut getauchten Finger: ›Das war Notwehr, denn er hatte das Gewehr. Ich wollte weder ihm

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