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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Antiquitätenpedanterie ebenso an wie meine Sehnsucht nach Jugend und Freiheit, die mich vom Meer her riefen. Draußen war strahlender Sonnenschein, und ein Wind ging; und der gelbe Kopf eines Besenkrauts oder Stechginsters im Garten klopfte an die Fensterscheibe. Ich dachte daran, wie all das lebendige und wachsende Gold mir von allen Heiden der Welt aus zurief – und dann, wie das tote stumpfe Gold meines Bruders und die Bronze und das Messing staubiger und staubiger wurden, während das Leben verging. Natur und Carstairs-Sammlung waren endlich aneinander geraten.
    Die Natur ist älter als die Carstairs-Sammlung. Als ich durch die Straßen zum Meer hinabrannte, die Münze in der fest geballten Faust, spürte ich das ganze Römische Reich auf meinen Schultern, und zusätzlich den ganzen Carstairschen Stammbaum. Nicht nur der alte silberne Wappenlöwe brüllte mir ins Ohr, sondern auch alle Adler der Caesaren schienen mich flatternd und kreischend zu verfolgen. Und doch stieg mein Herz höher und höher wie der Drache eines Kindes, bis ich über die lockeren trockenen Sandhügel zu den ebenen, nassen Sänden kam, wo Philip schon knöcheltief im flachen, glitzernden Wasser stand, einige hundert Meter seewärts. Es gab einen gewaltigen roten Sonnenuntergang; und die weite Fläche flachen Wassers, das für über eine halbe Meile kaum über den Knöchel stieg, war wie ein See aus rubinenen Flammen. Erst nachdem ich mir die Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte und dahin gewatet war, wo er stand, ziemlich weit vom trockenen Land entfernt, drehte ich mich um und schaute umher. Wir waren in dem Ring aus Seewasser und nassem Sand allein; und da gab ich ihm den Kopf Caesars.
    In diesem gleichen Augenblick widerfuhr mir ein Schock der Einbildungskraft: daß ein Mann weit weg auf den Sandhügeln mich intensiv anstarre. Mir muß unmittelbar danach bewußt geworden sein, daß das nur ein Zucken unvernünftiger Nerven war; denn der Mann war lediglich ein dunkler Punkt in der Entfernung, und ich konnte kaum mehr sehen, als daß er ganz still stand und starrte, den Kopf ein bißchen auf die Seite geneigt. Es gab keinerlei logischen irdischen Beweis, daß er überhaupt zu mir herübersah; er hätte genauso gut nach einem Schiff oder nach dem Sonnenuntergang oder nach den Seemöwen oder auch nach irgendeinem der Menschen schauen können, die hier und da auf dem Ufer zwischen uns herumliefen. Jedoch: Woraus auch immer mein Erschrecken kam, es war prophetisch; denn während ich noch starrte, begann er, über die weiten nassen Sände energisch gerade auf uns zu auszuschreiten. Als er näher und näher kam, sah ich, daß er dunkel und bärtig war und daß eine dunkle Brille seine Augen kennzeichnete. Er war ärmlich, aber anständig in Schwarz gekleidet, von dem alten schwarzen Zylinder auf seinem Kopf bis zu den soliden schwarzen Stiefeln an seinen Füßen. Ohne Rücksicht auf sie ging er ohne das geringste Zögern in die See hinein und kam mit der Stetigkeit einer Kugel auf mich zu.
    Ich kann Ihnen das Gefühl des Ungeheuerlichen und Übernatürlichen nicht beschreiben, das mich überkam, als er so schweigend die Schranken zwischen Land und Wasser durchbrach. Es war, als ob er direkt über eine Klippe hinaus geschritten wäre und immer noch stetig mitten durch die Luft marschiere. Es war, als ob ein Haus in die Luft geflogen oder der Kopf eines Mannes abgefallen wäre. Zwar machte er sich nur die Stiefel naß; aber er schien ein Dämon zu sein, der sich über ein Naturgesetz hinwegsetzte. Wenn er auch nur eine Sekunde am Rande des Wassers gezögert hätte, so wäre es nichts gewesen. Aber so erschien es, als schaue er so ausschließlich mich an, daß er den Ozean nicht bemerkte. Philip war einige Meter entfernt mit dem Rücken zu mir und beugte sich über sein Netz. Der Fremde kam heran, bis er zwei Meter vor mir stand, während das Wasser ihn bis halbwegs zum Knie umspülte. Dann sagte er mit einer klar modulierten, aber doch gezierten Aussprache: ›Würde es Sie inkommodieren, andernorts eine Münze mit einer etwas anderen Beschriftung zu kontribuieren?‹
    Mit einer Ausnahme gab es eigentlich nichts eindeutig Abnormales an ihm. Seine gefärbten Gläser waren nicht wirklich undurchsichtig, sondern von einer ziemlich gewöhnlichen blauen Sorte, und auch die Augen hinter ihnen waren nicht etwa unstet, sondern sahen mich stetig an. Sein dunkler Bart war nicht wirklich lang oder ungepflegt; aber er sah besonders haarig aus, denn der

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