Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
Vom Netzwerk:
Taverne öffnete sich, und der riesige Schatten des Forschers Flambeau fiel über den Tisch. Father Brown stellte ihn der Dame in seiner eigenen nachlässig einnehmenden Sprechweise vor und erwähnte seine Kenntnisse und seine Einfühlungsgabe in solchen Fällen; und fast ohne es zu bemerken, wiederholte bald darauf das Mädchen ihre Geschichte vor zwei Zuhörern. Flambeau jedoch, während er sich verneigte und dann niedersetzte, überreichte dem Priester einen schmalen Streifen Papiers. Brown nahm ihn mit einiger Überraschung entgegen und las auf ihm: »Droschke nach Wagga Wagga, Mafeking Avenue 379, Putney.« Das Mädchen indes fuhr mit ihrer Geschichte fort.
    »Ich ging die steile Straße zu meinem eigenen Haus hinauf, während sich mir der Kopf drehte; er hatte auch noch nicht begonnen, sich zu klären, als ich unsere Hausschwelle erreichte, auf der ich eine Milchflasche fand – und den Mann mit der verdrehten Nase. Die Milchflasche erzählte mir, daß die Bediensteten alle ausgegangen waren; denn natürlich würde Arthur, während er in seinem braunen Morgenmantel in seinem braunen Arbeitszimmer herumfuhrwerkte, die Haustürklingel weder hören noch beachten. Also gab es niemanden im Haus, der mir hätte helfen können außer meinem Bruder, und dessen Hilfe mußte mein Ruin sein. In meiner Verzweiflung drückte ich dem entsetzlichen Wesen zwei Schilling in die Hand und sagte ihm, er solle sich in ein paar Tagen wieder melden, wenn ich mir die Sache überlegt hätte. Er zog mißmutig ab, aber gutwilliger als ich erwartet hatte – vielleicht hatte ihn der Sturz doch etwas erschüttert –, und ich beobachtete mit schrecklich rachsüchtiger Freude, wie sich der Sandfleck auf seinem Rücken die Straße hinab entfernte. Er verschwand etwa sechs Häuser weiter um eine Ecke.
    Danach ging ich hinein, machte mir etwas Tee und versuchte, mir die Sache zu überlegen. Ich saß am Fenster des Salons und blickte hinaus in den Garten, der im letzten vollen Abendlicht erglühte. Doch ich war zu zerstreut und versunken, als daß ich den Rasen und die Blumentöpfe und Blumenbeete hätte mit Aufmerksamkeit betrachten können. Und deshalb traf mich der Schock um so schärfer, als ich ihn erst so spät bemerkte.
    Der Mann oder das Ungeheuer, das ich fortgeschickt hatte, stand ganz ruhig in der Mitte des Gartens. Ach, wir alle haben viel über fahlgesichtige Phantome im Dunkeln gelesen; aber das hier war noch viel schlimmer, als irgend etwas von jener Art je sein könnte. Denn obwohl er einen langen Abendschatten warf, stand er doch noch im warmen Sonnenschein. Und weil sein Gesicht nicht fahl war, sondern jenen wächsern rosigen Ton zeigte, den Frisierpuppen haben. Er stand ganz ruhig da, sein Gesicht mir zugewandt; und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schrecklich er da zwischen den Tulpen und all den hohen, prangenden, fast nach Gewächshaus aussehenden Blumen wirkte. Es sah aus, als hätten wir eine Wachspuppe statt einer Statue in der Mitte des Gartens aufgestellt.
    Doch im gleichen Augenblick, da er sah, wie ich mich am Fenster bewegte, wandte er sich um und rannte durch die hintere Pforte aus dem Garten, die offenstand und durch die er zweifellos hereingekommen war. Diese neuerliche Verzagtheit auf seiner Seite war so völlig verschieden von der unverschämten Selbstsicherheit, mit der er in die See geschritten war, daß ich mich undeutlich getröstet fühlte. Ich stellte mir vielleicht vor, daß er eine Begegnung mit Arthur mehr fürchtete, als ich wußte. Jedenfalls setzte ich mich schließlich hin und hatte ein ruhiges Abendessen allein (denn es war gegen die Spielregeln, Arthur zu stören, wenn er das Museum neu ordnete), und meine Gedanken flohen, ein bißchen erleichtert, zu Philip und verloren sich, vermute ich. Jedenfalls blickte ich abwesend, aber eher vergnügt als sonst etwas auf ein anderes vorhangloses Fenster, das inzwischen durch das endgültige Niedersinken der Nacht schwarz wie Schiefer war. Mir schien es, als wäre da etwas wie eine Schnecke draußen an der Fensterscheibe. Aber als ich aufmerksamer hinblickte, sah es eher wie der gegen die Scheibe gepreßte Daumen eines Mannes aus; jedenfalls hatte es das geriffelte Aussehen eines Daumens. Meine Angst und mein Mut waren gemeinsam wieder erwacht, und so stürzte ich denn ans Fenster und fuhr mit einem erstickten Schrei zurück, den jeder andere Mann außer Arthur gehört haben würde.
    Denn es war weder ein Daumen noch eine Schnecke.
    Es war die Spitze

Weitere Kostenlose Bücher