Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
standen nicht mehr so weit auseinander, und sie wurden ornamentreicher, ohne dadurch weniger häßlich zu sein. Eine halbe Meile weiter verwirrte Father Brown zunächst ein kleines Labyrinth von blumenlosen Blumentöpfen, von niedrigen, flachen, ruhigfarbenen Blattpflanzen überwuchert, die weniger nach einem Garten als vielmehr nach einem gewürfelten Pflaster aussahen und zwischen sanft geschwungenen Pfaden standen, mit Bänken übersät, deren Rücklehnen ebenfalls geschwungen waren. Ihm kam schwach der Geruch einer bestimmten Art von Seebadeorten in die Nase, die er nicht besonders liebte, und als er der See entlang über die Uferpromenade hinblickte, sah er, was jeden Zweifel ausschloß. In der grauen Entfernung erhob sich der große Musikpavillon eines Seebades wie ein gigantischer Pilz auf sechs Beinen.
»Ich nehme an«, sagte Father Brown, stellte den Mantelkragen hoch und zog sich seinen Wollschal enger um den Hals, »daß wir uns einem Vergnügungsort nähern.«
»Ich fürchte«, antwortete Flambeau, »einem Vergnügungsort, den gegenwärtig nur wenige Leute Lust haben, zum Ort ihres Vergnügens zu machen. Man versucht, diese Orte auch im Winter in Gang zu halten, aber das hat nirgendwo geklappt, mit Ausnahme von Brighton und den anderen alten Plätzen. Das hier muß Seawood sein, nehme ich an – Spekulationsobjekt von Lord Pooley; für Weihnachten hatte er die Sizilianischen Sängerknaben hierher engagiert, und es heißt, er wolle hier einen der großen Boxkämpfe veranstalten. Aber sie werden das ganze verrottete Ding ins Meer schmeißen müssen; es ist so trostlos wie ein verlorengegangener Eisenbahnwaggon.«
Sie waren unter dem großen Musikpavillon angekommen, und der Priester schaute auf zu ihm mit einer Neugier, die etwas Seltsames an sich hatte; den Kopf hatte er wie ein Vogel ein bißchen auf die Seite geneigt. Es war die übliche, für solche Zwecke reichlich aufgedonnerte Konstruktion: eine flache Kuppel, hier und da vergoldet, die sich über sechs schlanken Pfeilern aus bemaltem Holz erhob, und das Ganze errichtet rund 5 Fuß über der Uferpromenade auf einer runden hölzernen Plattform, wie auf einer Trommel. Irgend etwas Phantastisches am Schnee in der Verbindung mit irgend etwas Künstlichem am Gold suchte Flambeau wie seinen Freund mit Assoziationen heim, die er nicht fassen konnte, von denen er aber wußte, daß sie gleichermaßen künstlerisch wie fremdartig waren.
»Ich hab’s«, sagte er schließlich. »Das ist japanisch. Das ist wie diese phantastischen japanischen Drucke, wo der Schnee auf dem Berg wie Puderzucker aussieht, und das Gold auf den Pagoden wie das Gold auf Lebkuchen. Sieht ganz genau so aus wie ein kleiner heidnischer Tempel.«
»Ja«, sagte Father Brown. »Werfen wir einen Blick auf den Gott.« Und mit einer Beweglichkeit, die man ihm kaum zugetraut hätte, sprang er hinauf auf die erhöhte Plattform.
»Na schön«, lachte Flambeau; und im nächsten Augenblick war auch seine eigene hochragende Gestalt auf jener eigenartigen Erhebung sichtbar.
Obwohl der Höhenunterschied gering war, gab er doch in jenen flachen Weiten ein Gefühl, daß man noch weiter und immer weiter über Land und See schauen könne. Landeinwärts verblaßten die winterlichen kleinen Gärten zu wirrem grauem Gestrüpp; hinter diesem waren in der Ferne die langen niedrigen Scheunen eines einsamen Bauernhofes; und dahinter gab es nichts mehr als die weiten Ebenen Ostenglands. Seewärts gab es nicht Segel noch Lebenszeichen außer ein paar Seemöwen: und selbst die sahen eher aus wie die letzten Schneeflocken, und schienen eher zu treiben als zu fliegen.
Flambeau drehte sich auf einen Ausruf hinter ihm plötzlich um. Er schien von tiefer unten zu kommen, als man hätte erwarten sollen, und eher an seine Füße gerichtet als an seinen Kopf. Er streckte sofort die Hand aus, doch konnte er angesichts des Anblicks, der sich ihm bot, das Lachen kaum unterdrücken. Aus irgendeinem Grunde hatte die Plattform unter Father Brown nachgegeben, und der unglückliche kleine Mann war durchgebrochen bis hinab auf die Ebene der Uferpromenade. Er war gerade groß, oder klein, genug, daß sein Kopf allein aus dem Loch im zerbrochenen Holz herausragte und gerade so aussah wie das Haupt des heiligen Johannes des Täufers auf dem Tablett. Sein Gesicht trug einen Ausdruck der Fassungslosigkeit wie vielleicht auch das des heiligen Johannes des Täufers.
Einen Augenblick später begann er, ein bißchen zu lachen. »Das
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