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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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jenem verschwenderischen und satten Farbgebrauch, den ein Kind aus seinem billigen Malkasten herausholt. Selbst die graurippigen Bäume sahen jung aus, denn ihre spitzen Knospen waren noch rosa, und ihr Muster sah vor dem tiefen Blau wie unzählige Kinderzeichnungen aus.
    Trotz seiner prosaischen Erscheinung und seiner allgemein praktischen Lebensführung war Father Brown nicht ohne einen Schuß Romantik in seiner Zusammensetzung, obwohl er seine Träumereien im allgemeinen für sich behielt, wie das auch viele Kinder tun. Inmitten der kräftigen, strahlenden Farben eines solchen Tages aber und in dem heraldischen Rahmen einer solchen Stadt fühlte er sich fast so, als sei er in ein Märchen geraten. Er fand, wie ein jüngerer Bruder vielleicht, ein kindliches Vergnügen an dem beachtlichen Stockdegen, den Flambeau im Gehen zu schwingen pflegte und der nun senkrecht neben seinem mächtigen Humpen Münchner Bieres stand. Ja, in seiner schläfrigen Verantwortungslosigkeit ertappte er sich selbst sogar dabei, wie er den knorrigen und plumpen Griff seines schäbigen Schirmes mit den Augen schwacher Erinnerungen an die Keule eines Menschenfressers in einem farbigen Bilderbuch ansah. Doch niemals fügte er Dinge zur Dichtung zusammen, es sei denn die Erzählung, die jetzt folgt:
    »Ich frage mich«, sagte er, »ob man wohl an einem solchen Ort wirkliche Abenteuer erleben könnte, wenn man sich dazu die Möglichkeit gäbe? Das alles ist ein herrlicher Hintergrund für sie, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß man dann eher mit Pappschwertern angegriffen würde als mit wirklichen, schrecklichen Degen.«
    »Sie irren sich«, sagte sein Freund. »In dieser Stadt kämpft man nicht nur mit Degen, sondern tötet auch ohne Degen. Und es gibt noch Schlimmeres.«
    »Wieso, was meinen Sie?« fragte Father Brown.
    »Nun«, erwiderte der andere, »wir sind hier am einzigen Ort in Europa, wo je ein Mann erschossen wurde ohne Feuerwaffe.«
    »Sie meinen Pfeil und Bogen?« fragte Brown verwundert.
    »Ich meine Kugel im Kopf«, erwiderte Flambeau. »Kennen Sie die Geschichte des verblichenen Fürsten dieser Stadt nicht? Dabei handelt es sich um eines der großen Polizeimysterien vor etwa 20 Jahren. Sie erinnern sich sicherlich, daß dieses Land zur Zeit der frühesten Konsolidierungspläne Bismarcks gewaltsam annektiert worden ist – gewaltsam, aber gar nicht mühelos. Das Reich (oder was einmal eines werden wollte) entsandte Fürst Otto von Großenmark, um das Land im Interesse des Reiches zu regieren. Wir haben sein Porträt in der Galerie gesehen – er wäre sicherlich ein gutaussehender älterer Herr gewesen, wenn er nur Haare und Augenbrauen gehabt hätte und nicht so verrunzelt gewesen wäre wie ein Geier; aber er hatte einiges durchzumachen, wie ich gleich erklären werde. Er war ein Soldat von hervorragendem Geschick und Erfolg, aber er hatte mit diesem kleinen Land keine leichte Aufgabe. Er wurde in verschiedenen Schlachten von den berühmten Gebrüdern Arnhold geschlagen – den drei patriotischen Freischärlern, auf die Swinburne ein Gedicht schrieb, Sie werden sich erinnern:
     
    Wolves with the hair of the ermine
    Wölfe im Hermelin
     
    Crows that are crowned and kings –
    Krähen zu Königen gekrönt –
     
    These things be many as vermin
    Mögen zahlreich wie Gewürm sein,
     
    Yet Three shall abide these things.
    Drei werden ihnen widerstehen.
     
     
    Oder irgendwas dieser Art. Tatsächlich ist es keineswegs sicher, daß die Besetzung je hätte Erfolg haben können, wenn nicht einer der drei Brüder, Paul, sich verächtlich aber entscheidend geweigert hätte, diesen Dingen weiterhin zu widerstehen, und, indem er alle Geheimnisse des Aufstandes übergab, dessen Niederwerfung ebenso wie seine eigene Beförderung zum Kämmerer des Fürsten Otto sicherstellte. Danach wurde Ludwig, der einzige wahre Held unter Swinburnes Helden, mit dem Schwert in der Hand bei der Eroberung der Stadt getötet; und der dritte, Heinrich, der, obwohl kein Verräter, im Vergleich zu seinen tatendurstigen Brüdern immer schon zahm, ja geradezu zaghaft war, zog sich in eine Art Einsiedelei zurück, wurde zu einem christlichen Quietismus bekehrt, der schon fast quäkerisch war, und mischte sich nie wieder unter die Menschen, außer um fast sein ganzes Hab und Gut den Armen zu geben. Man hat mir erzählt, daß man ihn bis vor gar nicht langer Zeit gelegentlich in der Nachbarschaft sehen konnte, einen Mann in schwarzem Umhang, fast blind, mit

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