Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Theorie?«
Father Brown lachte. »Ich bin in Ferien«, sagte er. »Ich habe keine Theorien. Nur erinnert mich dieser Ort an Märchen, und wenn Sie mögen, erzähle ich Ihnen eine Geschichte.«
Die kleinen rosanen Wolken, die wie Zuckerwatte aussahen, waren hinauf zu den Zinnen der Türme des vergoldeten Lebkuchenschlosses geschwebt, und die rosanen Babyfinger der knospenden Bäume schienen sich zu spreiten und zu strecken, um sie zu fassen; der blaue Himmel nahm das helle Violett des Abends an, als Father Brown plötzlich wieder sprach:
»Es war in einer scheußlichen Nacht, der Regen tropfte noch von den Bäumen, und der Tau verdichtete sich bereits, als Fürst Otto von Großenmark hastig aus einer Seitentür des Schlosses trat und schnell in den Wald schritt. Einer der zahllosen Wachposten salutierte, aber er nahm keine Notiz davon. Er wollte auch nicht, daß man besondere Notiz von ihm nähme. Er war froh, als die großen Bäume, grau und glitschig vom Regen, ihn wie ein Sumpf verschluckten. Er hatte absichtlich die am wenigsten belebte Seite seines Palastes gewählt, aber selbst die war belebter, als ihm lieb war. Jedoch bestand keine besondere Gefahr, daß ihm jemand amtlich oder diplomatisch folgen würde, denn sein Ausgang erfolgte aus einem plötzlichen Impuls. All die Diplomaten in voller Uniform, die er hinter sich ließ, waren unwichtig. Es war ihm plötzlich klar geworden, daß er ohne sie auskommen konnte.
Seine große Leidenschaft war nicht die edle Furcht vor dem Tode, sondern die seltsame Sucht nach Gold. Um dieser Legende vom Golde willen hatte er Großenmark verlassen und war in Heiligwaldenstein eingedrungen. Dafür, und nur dafür hatte er den Verräter gekauft und den Helden abgeschlachtet, dafür hatte er den falschen Kämmerer lange befragt und wieder befragt, bis er zu dem Schluß gekommen war, daß der Renegat im Hinblick auf sein Unwissen wirklich die Wahrheit gesagt hatte. Dafür hatte er fast widerwillig Gold bezahlt und versprochen um der Chance willen, den größeren Betrag zu gewinnen; und dafür hatte er sich aus seinem Palast gestohlen wie ein Dieb im Regen, denn ihm war ein anderer Weg eingefallen, wie er sich seinen Herzenswunsch erfüllen könnte, und dazu billig.
Ferne am oberen Ende eines sich hinaufwindenden Bergpfades, zu dem er seine Schritte lenkte, stand zwischen den Felsenpfeilern auf der Klippe, die die Stadt überragte, die Einsiedelei, kaum mehr als eine mit Dornengestrüpp eingefriedete Höhle, in der der dritte der großen Brüder sich so lange vor der Welt verborgen hielt. Er, dachte Fürst Otto, konnte keinen wirklichen Grund haben, ihm die Übergabe des Goldes zu verweigern. Er hatte das Versteck schon seit Jahren gekannt und keinerlei Schritte unternommen, es aufzusuchen, schon ehe ihn sein neuer asketischer Glaube von Vermögen und Vergnügen trennte. Gewiß, er war ein Gegner gewesen, aber jetzt bekannte er die Pflicht, keinen Gegner zu haben. Einige Zugeständnisse in seinen Angelegenheiten, einige Anrufungen seiner Grundsätze vermochten ihn wahrscheinlich dazu zu bewegen, das Geheimnis des schnöden Geldes preiszugeben. Otto war trotz all seiner sorgfältigen militärischen Schutzmaßnahmen kein Feigling, und außerdem war seine Habgier stärker als seine Angst. Und schließlich gab es kaum Grund für Angst. Denn wenn er sicher war, daß es im ganzen Fürstentum keine privaten Waffen mehr gab, so war er hundertmal sicherer, daß es deren keine in der kleinen Einsiedelei des Quäkers auf dem Berge gab, wo er mit zwei alten einfachen Dienern von Kräutern lebte, und jahraus jahrein ohne die Stimme eines anderen Menschen. Fürst Otto schaute mit einem grimmen Lächeln auf die hellen viereckigen Labyrinthe der lampenbeleuchteten Stadt unter sich. Denn soweit das Auge blicken konnte, standen die Gewehre seiner Freunde, und keine Prise Pulver für seine Feinde. Die Gewehre standen so nahe selbst an diesen Bergpfad heran, daß ein Ruf von ihm die Soldaten den Berg heraufstürmen lassen würde, um nicht von der Tatsache zu reden, daß Wald wie Hang in regelmäßigen Abständen von Patrouillen begangen wurden; Gewehre so weit weg in den düsteren Wäldern jenseits des Flusses, winzig durch die Entfernung, daß kein Feind sich auf irgendwelchen Umwegen in die Stadt schleichen konnte. Und um den Palast waren Gewehre an der Westtür und an der Osttür, an der Nordtür und an der Südtür, und überall entlang der vier Fassaden, die sie miteinander verbanden. Er
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