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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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er den Anschein erweckte, er bevorzuge sie vor seinen anderen neuen Bekannten, gelang es ihm doch leicht, mit den zwei oder drei Männern zu plaudern, die jüngst in den Fall verwickelt waren; und mit dem alten Hickory Crake insbesondere führte er ein eigenartiges und interessantes Gespräch. Das fand auf einer Bank im Central Park statt, wo der alte Kämpe saß und seine knochigen Hände und sein scharfgeschnittenes Gesicht auf den eigentümlich geformten Griff seines Spazierstocks stützte, der aus dunkelrotem Holz und vielleicht einem Tomahawk nachgebildet war.
    »Nun, vielleicht war das ein weiter Schuß«, sagte er und schüttelte den Kopf, »aber ich warne Sie davor, sich zu genaue Vorstellungen davon zu machen, wie weit ein Indianerpfeil fliegen könnte. Ich habe einige Pfeilschüsse gesehen, die gerader flogen als irgendeine Kugel und ihr Ziel angesichts ihrer weiten Flugbahn mit erstaunlicher Sicherheit trafen. Natürlich hört man heute praktisch nie mehr von einem Indianer mit Pfeil und Bogen, noch weniger von einem Indianer, der hier in der Gegend wäre. Aber wenn sich zufälligerweise einer der alten indianischen Scharfschützen mit einem der alten indianischen Bögen da hinten in den Bäumen Hunderte Meter jenseits von Mertons Außenmauer versteckt halten sollte – nun, dann würde ich es einem edlen Wilden durchaus zutrauen, daß er einen Pfeil über die Mauer in das oberste Fenster von Mertons Haus schicken könnte; und auch in Merton selbst. Ich habe genauso wunderbare Taten in den alten Tagen geschehen sehen.«
    »Zweifellos«, sagte der Priester, »haben Sie so wunderbare Taten nicht nur gesehen, sondern auch selbst getan.«
    Der alte Crake kicherte und sagte dann schroff: »Ach, das ist alles längst vergangene Geschichte.«
    »Manche Menschen neigen dazu, die vergangene Geschichte zu studieren«, sagte der Priester. »Ich nehme an, daß es in Ihrer Vergangenheit nichts gibt, was die Leute dazu bringen könnte, unfreundlich über diese Geschichte zu sprechen.«
    »Was meinen Sie damit?« fragte der alte Crake, wobei sich seine Augen zum ersten Mal schnell hin und her bewegten in seinem roten hölzernen Gesicht, das eher dem Kopf eines Tomahawks ähnelte.
    »Nun ja, da Sie mit allen Künsten und Schlichen der Rothäute so wohl vertraut waren – «, begann Father Brown langsam.
    Crake hatte zusammengesunken und fast zusammengeschrumpft gewirkt, wie er so dasaß mit dem Kinn auf der sonderbar geformten Krücke. Aber im nächsten Augenblick stand er aufrecht auf dem Weg wie ein kampfbereiter wilder Indianer und umkrampfte die Krücke wie eine Keule.
    »Was?« schrie er – in einer Art heiseren Kreischens. »Was zum Teufel! Wollen Sie mir etwa ins Gesicht sagen, daß ich meinen eigenen Schwager ermordet hätte?«
    Von einem Dutzend Bänke, die entlang des Weges verstreut standen, blickten Menschen auf die Streitenden, die da auf dem Wege einander gegenüberstanden, der kahlköpfige energische kleine Mann, der seinen fremdartigen Stock wie eine Keule schwang, und die schwarze dickliche Gestalt des kleinen Klerikers, der ihn ansah, ohne mit einem Muskel zu zucken, abgesehen von den blinzelnden Augenlidern. Für einen Augenblick sah es so aus, als werde der schwarzen dicklichen Gestalt auf den Kopf geschlagen und als werde sie mit wahrhaft indianischer Raschheit und Gründlichkeit niedergestreckt; und in der Entfernung konnte man bereits die mächtigen Formen eines irischen Polizisten sich auftürmen und auf die Gruppe zustürmen sehen. Aber der Priester sagte nur ganz gelassen wie einer, der eine gewöhnliche Frage beantwortet:
    »Ich bin darüber zu bestimmten Schlußfolgerungen gekommen, aber ich glaube nicht, daß ich sie erwähnen werde, ehe ich meinen Bericht vorlege.«
    Ob nun unter dem Einfluß der Fußschritte des Polizisten oder der Augen des Priesters, der alte Hickory jedenfalls stopfte sich seinen Stock wieder unter den Arm und stülpte sich seinen Hut grummelnd wieder über. Der Priester entbot ihm gelassen einen guten Morgen, verließ ohne Eile den Park und machte sich auf den Weg zum Salon des Hotels, wo, wie er wußte, der junge Wain zu finden war. Der junge Mann sprang grüßend auf; er sah noch beunruhigter und abgemagerter aus als zuvor, so als ob irgendein Kummer an ihm zehre; und der Priester hegte den Verdacht, daß sich sein junger Freund in der jüngsten Zeit mit nur zu sichtbarem Erfolg bemüht hatte, dem letzten Zusatz zur amerikanischen Verfassung zu entkommen. Doch beim

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