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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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in der Haltung des Priesters wie ein Signal gewirkt habe; denn sein Kopf stand vor dem Licht des inneren Fensters, und sein Gesicht war im Schatten.
    »Ich glaube, daß Sie den Knopf jetzt drücken wollen«, sagte er mit einer Art Seufzer.
    Wilton schien mit einem Ruck aus seinen wilden Brütereien aufzuwachen, und er sprang auf und rief mit gebrochener Stimme: »Es hat keinen Schuß gegeben!«
    »Nun ja«, sagte Father Brown, »das hängt davon ab, was Sie unter einem Schuß verstehen.«
    Wilton sprang vor, und gemeinsam stürzten sie in den inneren Raum. Es war ein verhältnismäßig kleiner und einfacher, aber elegant möblierter Raum. Ihnen gegenüber stand ein weites Fenster auf, das den Garten und die bewaldete Ebene überblickte. Nahe beim Fenster standen ein Sessel und ein kleiner Tisch, als hätte der Gefangene während des kurzen Glücks des Alleinseins gar nicht genug Luft und Licht bekommen können.
    Auf dem kleinen Tisch unter dem Fenster stand der Koptenkelch; sein Besitzer hatte ihn sich offenbar bei bester Beleuchtung angesehen. Er war es wohl wert, angesehen zu werden, denn das blendendweiße Tageslicht verwandelte seine kostbaren Steine in vielfarbene Flammen, so daß er aussah wie das Urbild des Heiligen Grals. Er war es wohl wert, angesehen zu werden; aber Brander Merton sah ihn nicht an. Denn sein Kopf war ihm rückwärts über die Lehne gesunken, seine Mähne weißen Haares hing ihm nach unten, sein grauer Spitzbart wies zur Decke, und aus seiner Kehle ragte ein langer, braungestrichener Pfeil mit roten Federn am anderen Ende hervor.
    »Ein lautloser Schuß«, sagte Father Brown mit leiser Stimme, »ich dachte gerade über diese neue Erfindung lautloser Feuerwaffen nach. Aber das hier ist eine sehr alte Erfindung, und ebenso lautlos.«
    Dann fügte er nach einem Augenblick hinzu: »Ich fürchte, er ist tot. Was werden Sie jetzt tun?«
    Der bleiche Sekretär erhob sich in jäher Entschlossenheit. »Ich werde natürlich zunächst auf den Knopf drücken«, sagte er, »und wenn das Daniel Doom nicht erledigt, werde ich ihn um die ganze Welt jagen, bis ich ihn finde.«
    »Passen Sie auf, daß Sie unsere Freunde nicht erledigen«, bemerkte Father Brown; »sie können noch nicht weit sein; wir rufen sie besser zurück.«
    »Die wissen alles über die Mauern«, antwortete Wilton. »Niemand von ihnen wird versuchen, sie zu überklettern, es sei denn, einer von ihnen… wäre in großer Eile.«
    Father Brown ging zum Fenster, durch den der Pfeil offenbar hereingekommen war, und blickte hinaus. Der Garten mit seinen flachen Blumenbeeten lag tief drunten wie eine zart getönte Karte der Erde. Der ganze Ausblick erschien so weit und leer, der Turm so hoch in den Himmel gebaut, daß ihm, als er hinausstarrte, ein eigenartiger Satz wieder einfiel.
    »Ein Blitz aus heiterem Himmel«, sagte er. »Wer hat doch was von einem Blitz aus heiterem Himmel gesagt und daß der Tod aus dem Himmel komme? Sehen Sie nur, wie weit entfernt alles aussieht; es erscheint außerordentlich, daß ein Pfeil von so weit her hätte kommen können, es sei denn, es wäre ein Pfeil aus dem Himmel.«
    Wilton hatte sich umgedreht, aber er antwortete nicht, und der Priester fuhr wie im Selbstgespräch fort.
    »Man denkt an die Fliegerei. Wir müssen den jungen Wain fragen… nach der Fliegerei.«
    »Davon gibt es hierherum eine ganze Menge«, sagte der Sekretär.
    »Der Fall sehr alter oder sehr neuer Waffen«, bemerkte Father Brown. »Einige davon dürften seinem alten Onkel wohl bekannt sein, nehme ich an; wir müssen ihn nach Pfeilen fragen. Der hier sieht eher nach einem Indianerpfeil aus. Ich weiß nicht, womit der Indianer ihn abgeschossen hat; aber erinnern Sie sich der Geschichte, die der alte Mann erzählte. Ich habe da gesagt, sie habe eine Moral.«
    »Wenn sie eine Moral hatte«, sagte Wilton mit Wärme, »war es nur die, daß ein echter Indianer Dinge weiter schießen kann, als man sich vorstellt. Es ist Unfug, da Parallelen sehen zu wollen.«
    »Ich glaube nicht, daß Sie die Moral richtig verstanden haben«, sagte Father Brown.
    Obwohl der kleine Priester am nächsten Tag mit den Millionen in New York zu verschmelzen schien, ohne jeden erkennbaren Versuch, etwas anderes als eine Nummer in einer benummerten Straße zu sein, war er in Wirklichkeit während der nächsten vierzehn Tage doch unauffällig mit dem ihm anvertrauten Auftrag beschäftigt, denn ihn erfüllte eine tiefe Furcht vor einem möglichen Justizirrtum. Ohne daß

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