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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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heilig und heiliggesprochen sind; man findet in der Zeitung am nächsten Tag alles darüber, wie sie vom Lichte der Familienbibel lebten, die sie auf Mutters Knien lasen. Teufel! Wenn sie doch nur die eine oder andere Geschichte aus der Familienbibel laut gelesen hätten, dann wäre wenigstens die Mutter ein bißchen erschrocken gewesen. Und der Millionär vielleicht auch, schätze ich. Das alte Buch ist voller großartiger grimmiger alter Vorstellungen, die heute nicht mehr wachsen; Sorte Weisheit aus der Steinzeit, unter Pyramiden begraben. Stellen Sie sich vor, jemand hätte den alten Mann Merton von der Spitze seines Turmes hinabgeschleudert und ihn unten von den Hunden fressen lassen, das wäre auch nicht schlimmer gewesen, als was Jesabel widerfuhr. Hat man nicht Agag in Stückchen gehackt, nur weil er empfindsam wandelte? Merton wandelte empfindsam all seine Tage, hol ihn der Teufel – bis er zum Schluß zu empfindsam zum Wandeln wurde. Aber der Wurfspieß des Herrn traf ihn, wie das in dem alten Buch hätte geschehen können, und streckte ihn tot nieder, oben auf seinem Turm, auf daß er ein Schauspiel gebe vor allem Volke.«
    »Dieser Wurfspieß war aber schließlich materiell«, sagte sein Gefährte.
    »Die Pyramiden sind mächtig materiell und halten doch die toten Könige drinnen ganz schön nieder«, grinste der Mann mit der Brille. »Ich glaube, man kann allerhand für diese alten materiellen Religionen sagen. Es gibt alte Skulpturen, die Jahrtausende überdauert haben und ihre Götter und Kaiser mit gespanntem Bogen zeigen; mit Händen, die aussehen, als könnten sie wirklich Bögen aus Stein biegen. Materiell vielleicht – aber aus was für Material. Stehen Sie nicht manchmal auch vor den alten orientalischen Formen und Dingen und betrachten sie, bis Sie das Gefühl haben, der alte Herr Gott führe noch immer daher wie ein dunkler Apoll und verschieße schwarze Todesstrahlen?«
    »Wenn er das tut«, erwiderte Father Brown, »würde ich ihn mit einem anderen Namen nennen. Aber ich bezweifle, daß Merton durch einen schwarzen Strahl oder auch nur einen Steinpfeil starb.«
    »Ich wette, Sie glauben, er ist der heilige Sebastian«, spottete Drage, »den ein Pfeil tötete. Ein Millionär muß auch ein Märtyrer sein. Woher wollen Sie wissen, daß er das nicht verdient hat? Sie wissen nicht viel über Ihren Millionär, nehme ich an. Na schön, dann lassen Sie mich Ihnen sagen, daß er das hundertmal verdient hat.«
    »Und«, fragte Father Brown sanft, »warum haben Sie ihn nicht ermordet?«
    »Sie wollen wissen, warum ich das nicht getan hab?« fragte der andere starrend. »Na also, Sie sind mir ‘ne schöne Art Kirchenmann.«
    »Keineswegs«, sagte der andere, als ob er ein Kompliment beiseite wedeln wolle.
    »Ich nehme an, das ist Ihre Art zu behaupten, daß ich es getan hab«, knurrte Drage. »Na schön, beweisen Sie’s, das ist alles. Aber was ihn angeht, schätze, der war kein Verlust.«
    »Doch, war er«, sagte Father Brown scharf. »Er war ein Verlust für Sie. Deshalb haben nicht Sie ihn getötet.«
    Und er schritt aus dem Raum und ließ den Mann mit der Brille offenen Mundes zurück.
    Fast einen Monat später besuchte Father Brown erneut das Haus, in dem der dritte Millionär der Fehde des Daniel Doom erlegen war. Die besonders interessierten Personen hielten eine Art Rat ab. Der alte Crake saß am Kopf des Tisches, den Neffen zur Rechten, den Anwalt zur Linken; der riesige Mann mit den afrikanischen Zügen, dessen Name sich als Harris herausstellte, war wuchtig anwesend, wenn auch nur als materieller Zeuge; ein rothaariges spitznasiges Individuum, das als Dixon angesprochen wurde, war offenbar als Vertreter von Pinkerton oder irgend so einer Privatdetektei anwesend; und Father Brown glitt unauffällig auf den leeren Stuhl neben ihm.
    Alle Zeitungen auf Erden waren voll von der Katastrophe des Finanzkolosses, des großen Organisators des Big Business, das die moderne Welt reitet; aber von der kleinen Gruppe, die ihm im Augenblick seines Todes am nächsten war, konnte man nur wenig erfahren. Onkel, Neffe und Rechtsbeistand erklärten, daß sie sich bereits außerhalb der Außenmauer befunden hätten, als der Alarm losging; und Erkundungen, die man bei den offiziellen Wachen an beiden Sperren einholte, ergaben zwar reichlich verwirrte Antworten, aber im Ganzen doch bestätigende. Nur eine einzige andere Schwierigkeit schien nach Erwägung zu schreien. Es schien, daß ungefähr zur Todeszeit,

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