Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
kam.«
»Und ich frage mich, warum er das nicht getan hat«, bemerkte Boyne. »Ich verstehe das nicht; aber bisher verstehe ich überhaupt nichts. Wie in aller Welt sind Sie dahinter gekommen, und was in aller Welt haben Sie da entdeckt?«
»Oh, Sie haben mich mit sehr wertvollen Informationen versorgt«, erwiderte Father Brown bescheiden, »vor allem mit jenem Stück Information, das wirklich zählte. Ich meine die Feststellung, daß Strake ein sehr erfindungsreicher und einfallsreicher Lügner sei, und bei der Verfertigung seiner Lügen von großer Geistesgegenwart. Heute nachmittag brauchte er sie; aber er war der Gelegenheit gewachsen. Sein vielleicht einziger Fehler war, daß er eine übernatürliche Geschichte wählte; er war der Ansicht, daß ich als Kleriker alles zu glauben hätte. Viele Leute haben Vorstellungen dieser Art.«
»Mir aber ist das alles unverständlich«, sagte der Arzt. »Sie müssen wirklich mit dem Anfang anfangen.«
»Der Anfang war ein Morgenrock«, sagte Father Brown einfach. »Das war die einzige gute Verkleidung, die ich je gesehen habe. Wenn man in einem Haus einem Mann im Morgenrock begegnet, nimmt man ganz automatisch an, daß er sich in seinem eigenen Haus befindet. Ich selbst nahm das auch an; aber danach begannen sich sonderbare kleine Dinge zu ereignen. Als er die Pistole herabnahm, zog er den Hahn mit ausgestrecktem Arm durch, wie man das zu tun pflegt, um sicher zu gehen, daß eine fremde Waffe nicht geladen ist; aber natürlich hätte er wissen müssen, ob die Pistolen in seinem eigenen Flur geladen waren oder nicht. Dann gefiel mir die Art nicht, wie er nach Brandy suchte oder wie er fast das Fischgefäß über den Haufen rannte. Denn ein Mann, der ein so zerbrechliches Ding als Inventarstück in seinen Gemächern hat, entwickelt eine Art mechanischer Gewohnheit, es zu umgehen. Doch mochten diese Dinge Phantasieprodukte sein; der erste reale Hinweis aber war dieser. Er war aus dem kleinen Korridor zwischen den beiden Türen gekommen; und in jenem Korridor gibt es lediglich noch eine Tür, die in ein anderes Zimmer führt; also nahm ich an, es sei das Schlafzimmer, aus dem er gerade gekommen war. Ich versuchte die Klinke; aber die Tür war verschlossen. Das kam mir seltsam vor, und ich blickte durchs Schlüsselloch. Es war ein völlig leerer Raum, offenbar unbenutzt; kein Bett, kein Garnichts. Also war er nicht aus irgendeinem Zimmer gekommen, sondern von außerhalb des Hauses. Und als ich das erkannte, habe ich wohl das ganze Bild erkannt.
Der arme Arnold Aylmer schlief sicherlich und lebte vielleicht oben, und er kam im Morgenmantel herab und ging durch die Tür mit dem roten Glas. Am Ende des Korridors sah er, schwarz vor dem Licht des Wintertages, den Feind seines Hauses. Er sah einen großen bärtigen Mann in einem breitkrempigen schwarzen Hut und einem weiten flappenden schwarzen Umhang. Sehr viel mehr sah er nicht in dieser Welt. Strake sprang ihn an und erwürgte oder erstach ihn; das werden wir sicher erst nach der Leichenschau wissen. Dann hörte Strake, der in dem engen Durchgang zwischen Kleiderständer und altem Büffet stand und im Triumph auf den letzten seiner Feinde hinabschaute, etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er hörte Schritte im Wohnzimmer. Das war ich selbst, der durch die Terrassentür eintrat.
Seine Verkleidung war ein Wunder an Schnelligkeit. Sie umfaßte nicht nur eine Maskierung, sondern auch einen Roman – einen Stegreifroman. Er nahm seinen großen schwarzen Hut und den Umhang ab und zog sich des toten Mannes Morgenrock an. Dann tat er etwas Grausiges; zumindest berührt es meine Einbildungskraft als grausiger denn alles andere. Er hängte die Leiche wie einen Mantel an den Kleiderständer. Er hüllte sie in seinen eigenen langen Umhang ein und sah, daß der ihr weit über die Füße hinabhing; und er verdeckte den Kopf vollständig mit seinem eigenen breiten Hut. Das war der einzige mögliche Weg, sie in jenem kleinen Korridor mit der geschlossenen Tür zu verbergen; aber ein wirklich kluger. Ich selbst bin einmal an diesem Kleiderständer vorbeigegangen, ohne zu merken, daß er etwas anderes als ein Kleiderständer war. Ich glaube, daß mich diese meine Ahnungslosigkeit immer schaudern machen wird.
Er hätte es vielleicht dabei belassen können; aber ich hätte die Leiche jeden Augenblick entdecken können; und eine solchermaßen aufgehängte Leiche schreit sozusagen nach einer Erklärung. So entschloß er sich zu dem kühneren
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