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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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nicht.«
    Aylmer lehnte sich vornüber und blickte ihn mit einer sonderbaren Intensität an, die fast die eines Hypnotiseurs war.
    »Sie glauben es«, sagte er. »Sie glauben alles. Wir alle glauben alles, selbst wenn wir alles ableugnen. Die Leugner glauben. Die Ungläubigen glauben. Spüren Sie nicht in tiefster Seele, daß diese Widersprüche keine wirklichen Widersprüche sind: daß es einen Kosmos gibt, der sie alle umfängt? Die Seele dreht sich auf einem Sternenrad, und alle Dinge kehren wieder; vielleicht haben Strake und ich uns in vielerlei Gestalt bekämpft, Tier wider Tier und Vogel wider Vogel, und vielleicht werden wir uns ewig bekämpfen. Aber da wir einander suchen und brauchen, ist selbst dieser ewige Haß ewige Liebe. Gut und Böse drehen sich in einem Rad, das ein Ding ist und nicht viele. Erkennen Sie denn nicht in Ihrem Herzen, glauben Sie denn nicht hinter all Ihren Gläubigkeiten, daß es nur eine Wirklichkeit gibt und wir deren Schatten sind; und daß alle Dinge nur die Aspekte des einen sind: eines Zentrums, in dem die Menschen zum Menschen verschmelzen, und der Mensch zu Gott?«
    »Nein«, sagte Father Brown.
    Draußen begann die Dämmerung zu sinken, in jenem Stadium eines so schneebeladenen Abends, in dem die Erde heller aussieht als der Himmel. In der Vorhalle des Haupteingangs, sichtbar durch ein halbverhängtes Fenster, konnte Father Brown schwach eine vierschrötige Gestalt stehen sehen. Er blickte flüchtig zur Terrassentür, durch die er ursprünglich eingetreten war, und sah sie von zwei ebenfalls bewegungslosen Gestalten verdunkelt. Die Innentür mit dem Buntglas stand leicht angelehnt; und in dem kurzen Korridor hinter ihr konnte er die Enden zweier langer Schatten sehen, vom flachen Abendlicht übertrieben und verzerrt, aber immer noch graue Karikaturen menschlicher Gestalten. Dr. Boyne hatte bereits auf die telephonische Botschaft gehört. Das Haus war umstellt.
    »Welchen Sinn hat es, nein zu sagen?« beharrte sein Gastgeber, immer noch mit dem gleichen hypnotischen Blick. »Sie haben einen Teil jenes ewigen Dramas mit eigenen Augen gesehen. Sie haben die Drohung John Strakes gesehen, Arnold Aylmer mittels Schwarzer Magie zu erschlagen. Sie haben gesehen, wie Arnold Aylmer John Strake mittels Weißer Magie schlug. Sie sehen Arnold Aylmer lebendig und mit Ihnen redend vor sich. Und doch glauben Sie es nicht.«
    »Nein, ich glaube es nicht«, sagte Father Brown und erhob sich aus seinem Stuhl wie einer, der einen Besuch beendet.
    »Warum nicht?« fragte der andere.
    Der Priester hob seine Stimme nur ein wenig an, aber in jede Ecke des Zimmers hallte sie wie eine Glocke.
    »Weil Sie nicht Arnold Aylmer sind«, sagte er. »Ich weiß, wer Sie sind. Ihr Name ist John Strake; und Sie haben den letzten der Brüder ermordet, der jetzt draußen im Schnee liegt.«
    Ein weißer Ring erschien um die Iris im Auge des anderen Mannes; er schien mit hervorquellenden Augäpfeln einen letzten Versuch zu machen, seinen Gefährten zu hypnotisieren und zu beherrschen. Dann machte er jäh eine Bewegung zur Seite; aber noch während er sie machte, öffnete sich die Tür hinter ihm, und ein großer Detektiv in Zivil legte ihm ruhig eine Hand auf die Schulter. Die andere Hand hing hinab, aber sie hielt einen Revolver. Der Mann blickte wild um sich und sah in allen Ecken des stillen Zimmers Männer in Zivil.
    An jenem Abend hatte Father Brown ein anderes und längeres Gespräch mit Dr. Boyne über die Tragödie der Aylmer-Familie. Zu jenem Zeitpunkt gab es keinerlei Zweifel mehr an der zentralen Tatsache des Falles, denn John Strake hatte seine Identität bekannt, und sogar seine Verbrechen; das heißt, richtiger müßte man sagen, daß er sich seiner Siege rühmte. Gemessen an der Tatsache, daß er sein Lebenswerk abgeschlossen hatte, nachdem der letzte Aylmer tot war, schien ihm alles übrige einschließlich der Existenz selbst gleichgültig zu sein.
    »Der Mann ist sozusagen monoman«, sagte Father Brown. »Er ist an nichts anderem interessiert; nicht einmal an einem anderen Mord. Dafür muß ich ihm dankbar sein; denn mit dieser Überlegung hatte ich mich während dieses Nachmittags häufig genug zu beruhigen. Wie auch Sie zweifellos erkannt haben, hätte er, statt diesen wilden, aber einfallsreichen Roman um beschwingte Vampire und silberne Kugeln zu spinnen, eine einfache Bleikugel in mich schießen und aus dem Hause gehen können. Ich versichere Ihnen, daß dieser Gedanke mir reichlich häufig

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