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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Streich, sie selbst zu entdecken und sie selbst zu erklären.
    Und da dämmerte diesem sonderbaren und furchtbar fruchtbaren Geist der Gedanke einer Verwechslungsgeschichte; die Vertauschung der Rollen. Er hatte bereits die Rolle von Arnold Aylmer übernommen. Warum sollte da nicht sein toter Feind die Rolle von John Strake übernehmen? Irgend etwas in diesem Verwirrspiel muß die Phantasie dieses düster-phantasievollen Mannes angesprochen haben. Das war wie ein schrecklicher Maskenball, auf den die beiden Todfeinde gehen, der eine als der andere verkleidet. Nur sollte der Maskenball ein Todestanz sein: und einer der Tänzer tot. So kann ich mir vorstellen, wie sich das in seinem Kopf entwickelt hat, und ich kann mir vorstellen, wie er dabei schmunzelte.«
    Father Brown starrte ins Leere mit seinen großen grauen Augen, die das einzig Bemerkenswerte in seinem Gesicht waren, wenn er sie nicht mit seinem Zwinkertick verschleierte. Er redete einfach und ernst weiter:
    »Alle Dinge sind von Gott; und vor allen anderen Vernunft und Einbildungskraft und die großen Gaben des Geistes. Sie sind gut in sich selbst; und niemals dürfen wir ihren Ursprung vergessen, selbst nicht in ihrer Verdrehung. Nun hatte dieser Mann in sich eine sehr noble Kraft, die sich verdrehen ließ; die Kraft, Geschichten zu erzählen. Er war ein großer Erzähler; nur hatte er seine Vorstellungskraft auf praktische und böse Zwecke gerichtet; Menschen mit falschen Tatsachen zu betrügen, statt mit wahren Erfindungen. Es begann damit, daß er den alten Aylmer mit ausgeklügelten Ausreden und geistreich ausgedachten Lügen betrog; doch selbst das mag zu Anfang wenig mehr gewesen sein als jene tollen Geschichten und Flunkereien von Kindern, die gleichermaßen erzählen können, sie hätten den König von England und den König des Feenreiches gesehen. Das wurde in ihm immer stärker durch das Laster aller Laster, den Stolz; er wurde immer eitler auf seine rasche Fähigkeit, originelle Geschichten zu erfinden und sie aufs feinste weiterzuspinnen. Das meinten die jungen Aylmers, als sie sagten, John habe ihren Vater immer in seinen Bann ziehen können; und das war wahr. Es war jener Bann, den die Erzählerin in Tausendundeiner Nacht über den Tyrannen wirft. Und bis zuletzt wandelte er in der Welt mit dem Stolz des Dichters und dem falschen aber unauslotbaren Mut des großen Lügners. Immer wieder konnte er neue Märchen aus Tausendundeiner Nacht erfinden, wenn sein Kopf in Gefahr war. Und heute war sein Kopf in Gefahr.
    Aber ich bin ganz sicher, daß er das ebensosehr als Phantasmagorie wie als Irreführung genoß. Er machte sich an die Aufgabe, die wahre Geschichte falsch herum zu erzählen: den toten Mann für den Lebenden und den lebenden Mann für den Toten auszugeben. Er hatte sich bereits in Aylmers Morgenrock begeben; nun machte er sich daran, sich in Aylmers Körper und Seele zu begeben. Er blickte auf die Leiche, als sei es seine Leiche, die da kalt im Schnee lag. Dann spreitete er sie in jener seltsamen Weise adlergleich aus, um den sausenden Niedersturz eines Greifvogels anzudeuten, und bedeckte sie nicht allein mit seinen eigenen dunklen und fliegenden Gewändern, sondern auch mit einem ganzen düsteren Märchen vom Schwarzen Vogel, den lediglich die Silberkugel fällen kann. Ich weiß nicht, ob es das Silber war, das auf dem Büffet glitzerte, oder der Schnee, der hinter der Tür schimmerte, was sein so intensives künstlerisches Temperament auf das Thema der Weißen Magie und des weißen Metalls brachte, das man gegen Zauberer verwendet. Was immer aber auch der Ursprung, er machte es sich wie ein Dichter zu eigen; und tat es rasch wie ein praktischer Mann. Er vollendete den Austausch und die Verkehrung der Teile, indem er die Leiche als Strakes Leiche hinaus auf den Schnee schleuderte. Er tat sein Bestes, um ein gruseliges Gedankenbild von Strake als einem Wesen heraufzubeschwören, das überall in der Luft lauere, eine Harpyie mit den Schwingen der Schnelligkeit und den Klauen des Todes, und um die Abwesenheit von Fußspuren und andere Dinge zu erklären. Wegen eines Stückchens künstlerischer Unverfrorenheit bewundere ich ihn zutiefst. Er wendete tatsächlich einen der Widersprüche in seinem Argument in einen Beweis zu seinen Gunsten um und sagte, daß der Umhang des Mannes für ihn zu lang sei beweise, daß er niemals wie ein normaler Sterblicher über die Erde ging. Während er das sagte, starrte er mich aber durchdringend an; und

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