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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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wirklich in jenem Haus abgespielt hat.«
    »Meinen Sie den Selbstmord?« fragte Payne.
    »Ich meine den Mord«, sagte Father Brown, und seine Stimme, obwohl nur leicht angehoben, schien irgendwie über das ganze Uferland zu hallen. »Es war Mord; Mord aber kommt aus dem Willen, den Gott frei geschaffen hat.«
    Was die anderen in diesem Augenblick darauf antworteten, sollte Payne nie erfahren. Denn das Wort hatte eine eigentümliche Wirkung auf ihn; es jagte ihn hoch wie ein Trompetenstoß und ließ ihn doch innehalten. Er blieb inmitten der sandigen Einöde stehen und ließ die anderen weitergehen; er spürte das Blut durch seine Adern kribbeln und jene Empfindung, die man Haare-zu-Berge-Stehen nennt; und doch verspürte er ein neues und unnatürliches Glücksgefühl. Ein psychologischer Vorgang, der zu schnell und zu kompliziert war, als daß er ihm hätte folgen können, war bereits zu einer Schlußfolgerung gelangt, die er nicht zu analysieren vermochte; doch war diese Schlußfolgerung erleichternd. Nachdem er für einen Augenblick stehengeblieben war, kehrte er um und ging langsam über die Sande zurück zum Haus der Darnaways.
    Er überquerte den Wassergraben mit einem Tritt, der die Brücke erschütterte, und stieg die Treppen hinab und durchquerte die langen Räume mit hallenden Schritten, bis er die Stelle erreichte, wo Adelaide Darnaway saß, vom niedrigen Licht des ovalen Fensters mit einem Heiligenschein umgeben, fast wie eine vergessene Heilige, die man im Lande des Todes zurückgelassen hat. Sie blickte auf, und ein Ausdruck der Verwunderung machte ihr Antlitz nur noch wunderbarer.
    »Was ist?« sagte sie. »Warum sind Sie zurückgekommen?«
    »Ich bin wegen Dornröschen gekommen«, sagte er in einem Ton, der den Widerhall eines Lachens hatte. »Dieses alte Haus sank vor langer Zeit in Schlaf, wie der Doktor gesagt hat; aber es wäre töricht, wenn Sie vorgäben, alt zu sein. Kommen Sie hinauf ins Tageslicht, und vernehmen Sie die Wahrheit. Ich bringe Ihnen ein Wort; es ist ein schreckliches Wort, aber es sprengt den Bann Ihrer Gefangenschaft.«
    Sie verstand kein Wort von dem, was er sagte, aber etwas machte sie aufstehen und sich von ihm die lange Halle hinabgeleiten lassen und die Treppen hinauf und hinaus unter den Abendhimmel. Die Ruinen eines toten Gartens erstreckten sich seewärts, ein alter Springbrunnen mit der Gestalt eines grünspanbedeckten Tritons stand da, der aus einem ausgetrockneten Horn nichts in ein leeres Becken goß. Er hatte diesen trostlosen Umriß oftmals vor dem Abendhimmel gesehen, wenn er vorüberkam, und er war ihm in mehr als einer Hinsicht wie das Sinnbild versunkenen Glücks erschienen. Nicht lange mehr, und zweifellos würden sich diese leeren Brunnen wieder füllen, aber mit den fahlen grünen bitteren Wässern der See, und die Blumen würden ertrinken und ersticken im Seetang. So, hatte er sich gesagt, würde auch die Tochter der Darnaways verheiratet werden; verheiratet werden aber dem Tod und einem Verhängnis, so gehörlos und gefühllos wie die See. Nun aber legte er seine Hand auf den bronzenen Triton wie die Hand eines Riesen und schüttelte ihn, als wolle er ihn wie ein Götzenbild oder einen bösen Gott des Gartens umstürzen.
    »Was soll das heißen?« fragte sie gefaßt. »Was ist dieses Wort, das uns frei machen wird?«
    »Es ist das Wort Mord«, sagte er, »und die Freiheit, die es bringt, ist so frisch wie Frühlingsblumen. Nein; ich will nicht sagen, daß ich jemanden ermordet habe. Aber die Tatsache, daß irgend jemand ermordet werden kann, ist schon in sich selbst eine gute Neuigkeit nach all den bösen Träumen, in denen Sie gelebt haben. Verstehen Sie denn nicht? In diesem Ihrem Traum geschah alles, was Ihnen geschah, aus Ihnen heraus: Das Verhängnis der Darnaways schlummerte in den Darnaways und entfaltete sich wie eine schreckliche Blume. Es gab selbst durch glücklichen Zufall keine Flucht; alles geschah unausweichlich; ob nun nach Vine und seinem Altweibermärchen, oder nach Barnet und seiner neumodischen Vererbungslehre. Aber dieser Mann, der starb, ist nicht das Opfer eines Zauberfluchs oder ererbten Wahnsinns. Er wurde ermordet; und für uns ist dieser Mord nichts als ein Zufall; ja, requiescat in pace: aber ein glücklicher Zufall. Ein Strahl Tageslicht, denn er ist von außen gekommen.«
    Sie lächelte plötzlich. »Ja, ich glaube, ich verstehe. Sie scheinen wie ein Wahnsinniger zu sprechen, aber ich verstehe. Aber wer hat ihn

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