Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
ermordet?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er ruhig, »aber Father Brown weiß es. Und wie Father Brown sagt, geschieht Mord durch den Willen, frei wie der Wind vom Meer.«
»Father Brown ist ein wunderbarer Mensch«, sagte sie nach einer Pause, »er war der einzige Mensch, der je mein Dasein erhellt hat, bis – «
»Bis was?« fragte Payne und machte eine ungestüme Geste, in der er sich ihr zuneigte und das bronzene Monster so von sich stieß, daß es auf seinem Sockel zu wackeln schien.
»Nun, bis Sie es taten«, sagte sie und lächelte wieder.
So ward das Dornröschenschloß erweckt, und es ist nicht Aufgabe dieser Geschichte, die einzelnen Stadien seines Erwachens zu schildern, obwohl sich die meisten ereignet hatten, noch ehe die Dunkelheit dieses Abends auf das Ufer niedersank. Als Harry Payne ein weiteres Mal über jene dunklen Sande heimwärts schritt, die er schon in so vielen Stimmungen überquert hatte, befand er sich auf jenem höchsten Gipfel der Glückseligkeit, der diesem sterblichen Leben beschieden ist, und das ganze rote Meer in ihm wogte in seiner höchsten Flut. Er hätte keinerlei Schwierigkeiten gehabt, sich den ganzen Ort nochmals in Blütenpracht vorzustellen, und den bronzenen Triton strahlend als goldenen Gott, und den Springbrunnen strömend mit Wasser oder Wein. Doch all dieses Prangen und Blühen hatte sich ihm mit dem einen Wort »Mord« entfaltet, und immer noch war es ein Wort, das er nicht verstand. Er hatte es vertrauensvoll aufgenommen, aber das war nicht unweise; denn er gehörte zu jenen, die einen Sinn für den Klang der Wahrheit haben.
Über einen Monat später kehrte Payne in sein Londoner Haus zurück, um eine Verabredung mit Father Brown einzuhalten, und er brachte die gewünschte Photographie mit. Seine Liebesgeschichte war so wohl gediehen, wie das im Schatten einer solchen Tragödie ziemlich war, und um so leichter lag der Schatten selbst auf ihm; aber es war schwierig, ihn als etwas anderes denn den Schatten eines Familiengeschickes anzusehen. Er war auf manche Weise sehr beschäftigt gewesen, und erst nachdem der Haushalt der Darnaways seine strenge Gleichförmigkeit wieder gefunden und das Porträt schon lange wieder seinen Platz in der Bibliothek eingenommen hatte, hatte er es geschafft, es mit einem Magnesiumblitz aufzunehmen. Bevor er es aber wie ursprünglich verabredet dem Antiquar zuschickte, brachte er es dem Priester, der so dringend danach verlangt hatte.
»Ich kann Ihr Verhalten in all dem nicht verstehen, Father Brown«, sagte er. »Sie benehmen sich so, als hätten Sie das Problem schon auf Ihre Weise gelöst.«
Der Priester schüttelte kummervoll den Kopf. »Nicht im geringsten«, antwortete er. »Ich bin wohl sehr dumm, denn ich stecke fest – stecke bei der handfestesten Frage von allen fest. Es ist eine eigenartige Angelegenheit, so einfach bis zu einer gewissen Stelle, und dann – lassen Sie mich einen Blick auf die Photographie werfen, bitte.«
Er hielt sie einen Augenblick lang nahe vor seine zusammengekniffenen kurzsichtigen Augen und sagte dann: »Haben Sie ein Vergrößerungsglas?«
Payne brachte ihm eines, und der Priester schaute einige Zeit höchst aufmerksam hindurch und sagte dann: »Sehen Sie sich den Titel des Buches in der Ecke des Bücherregals neben dem Rahmen an: ›Die Geschichte der Päpstin Johanna‹. Nun frage ich mich… ja, beim Himmel; und das darüber ist irgendwas über Island. Gott! Was für ein eigenartiger Weg, es herauszufinden! Was war ich doch für ein dummer Dackel, daß ich es nicht bemerkt habe, als ich da war!«
»Aber was haben Sie denn herausgefunden?« fragte Payne ungeduldig.
»Das letzte Glied«, sagte Father Brown, »und jetzt stecke ich nicht mehr fest. Ja, ich glaube, ich weiß jetzt, wie sich die ganze unglückliche Geschichte von Anfang bis Ende abspielte.«
»Aber warum?« beharrte der andere.
»Nun, weil«, sagte der Priester mit einem Lächeln, »die Bibliothek der Darnaways Bücher über die Päpstin Johanna und über Island enthält, von einem anderen ganz zu schweigen, das ich da sehe und dessen Titel anfängt ›Die Religion Friedrichs‹, was nicht schwer zu ergänzen ist.« Dann aber, da er den Ärger des anderen sah, erlosch sein Lächeln, und er sagte ernsthafter:
»Tatsächlich ist dieser letzte Punkt, obwohl er das fehlende Glied darstellt, nicht die Hauptfrage. In dem Fall gibt es viel merkwürdigere Dinge. Eines davon ist ein eher merkwürdiges Beweisstück. Lassen Sie
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