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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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unverändert«, sagte Father Brown sanft.
    Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Ich hoffe, Sie werden den letzten Wunsch des armen Darnaway erfüllen und dafür sorgen, daß die Photographie abgeschickt wird.«
    »Die Photographie!« rief der Doktor scharf. »Zu was soll das gut sein? Und außerdem, es ist merkwürdig, aber es gibt keine Photographie. Es scheint, als habe er gar keine gemacht, trotz seines Herumwirtschaftens während des ganzen Tages.«
    Father Brown drehte sich jäh um. »Dann machen Sie sie«, sagte er. »Der arme Darnaway hatte völlig recht. Es ist von größter Wichtigkeit, daß die Aufnahme gemacht wird.«
    Als all die Besucher, der Arzt und der Priester und die beiden Künstler, in schwarzer und trübseliger Prozession über die braungelben Sande davonzogen, waren sie zunächst mehr oder minder schweigsam, so als ob sie betäubt wären. Und in der Tat hatte die Erfüllung jenes vergessenen Aberglaubens in eben dem Augenblick, als sie ihn am meisten vergessen hatten, etwas von einem Donnerschlag aus heiterem Himmel an sich, als Arzt und Priester ihre Köpfe ebenso mit Rationalismus angefüllt hatten wie der Photograph seine Räume mit Tageslicht. Sie mochten so rationalistisch sein, wie sie wollten; aber in hellem Tageslicht war der siebente Erbe wiedergekehrt, und im hellen Tageslicht war er in der siebenten Stunde zu Grunde gegangen.
    »Ich fürchte, daß nun alle für ewige Zeiten an den Darnaway-Aberglauben glauben werden«, sagte Martin Wood.
    »Ich kenne einen, der das nicht tut«, sagte der Doktor scharf. »Warum sollte ich dem Aberglauben frönen, bloß weil ein anderer dem Selbstmord frönt?«
    »Sie glauben, daß der arme Mr. Darnaway Selbstmord begangen hat?« fragte der Priester.
    »Ich bin sicher, daß er Selbstmord begangen hat«, erwiderte der Doktor.
    »Möglich ist es«, stimmte der andere zu.
    »Er war ganz allein da oben, und in seiner Dunkelkammer hatte er eine ganze Apotheke von Giften. Außerdem ist es genau das, was Darnaways zu tun pflegen.«
    »Sie glauben also nicht, daß es irgendwas mit der Erfüllung des Familienfluchs zu tun hat?«
    »Doch«, sagte der Arzt, »ich glaube an einen Familienfluch, und das ist die Familienkonstitution. Ich habe Ihnen gesagt, es sei erblich und daß sie alle halb verrückt sind. Wenn man dermaßen stagniert und Inzucht betreibt und im eigenen Sumpf brütet, muß man degenerieren, ob man will oder nicht. Die Vererbungsgesetze kann man nicht umgehen; die Wahrheit der Wissenschaft kann man nicht leugnen. Der Verstand der Darnaways zerfällt in Stücke, so wie ihr verrottetes Gebälk und Gemäuer in Stücke zerfällt, zerfressen von der See und der Salzluft. Selbstmord – natürlich hat er Selbstmord begangen; und ich wage zu behaupten, auch alle übrigen werden Selbstmord begehen. Vielleicht das Beste, was sie tun können.«
    Während der Mann der Wissenschaft sprach, sprang Payne plötzlich und mit aufschreckender Deutlichkeit das Gesicht der Tochter des Hauses Darnaway in die Erinnerung, eine tragische Maske, blaß vor unergründbarer Schwärze, aber selbst von blendender und sterbliches Maß überstrahlender Schönheit. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, und fand sich sprachlos.
    »Aha«, sagte Father Brown zum Doktor, »dann glauben Sie also doch an den Aberglauben?«
    »Was meinen Sie – glauben an den Aberglauben? Ich glaube an den Selbstmord als Folge wissenschaftlicher Notwendigkeit.«
    »Nun ja«, erwiderte der Priester, »ich kann aber nicht den Deut eines Unterschiedes zwischen Ihrem wissenschaftlichen Aberglauben und jenem anderen magischen Aberglauben erkennen. Beide verwandeln mir am Ende Menschen in Gelähmte, die ihre eigenen Beine und Arme nicht mehr bewegen und ihre eigenen Leben und Seelen nicht mehr retten können. Im Vers heißt es, es sei das Verhängnis der Darnaways, getötet zu werden, und im wissenschaftlichen Lehrbuch heißt es, es sei der Fluch der Darnaways, sich selbst zu töten. In beiden Fällen erscheinen sie mir als Sklaven.«
    »Aber ich dachte, Sie hätten gesagt, daß Sie an eine vernünftige Sicht auf diese Dinge glaubten«, sagte Dr. Barnet. »Glauben Sie denn nicht an die Vererbung?«
    »Ich sagte, ich glaubte ans Tageslicht«, erwiderte der Priester mit lauter und klarer Stimme, »und ich denke nicht daran, zwischen zwei Gängen untergründigen Aberglaubens zu wählen, die beide im Dunkel enden. Und der Beweis dafür ist: daß Sie sich alle vollständig im dunkeln darüber befinden, was sich

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