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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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kleinen Auflauf. Er sprach mit seiner lautesten Stimme, die wie ein Nebelhorn dröhnte, und befahl jemandem und allen, einen Arzt zu holen; und als er sich in den dunklen und überfüllten Eingang zurückwandte, schlüpfte sein Freund Father Brown hinter ihm unauffällig mit hinein. Aber selbst als er sich durch die Menge drückte und schlängelte, konnte er immer noch die großartige Melodie und Monotonie des Sonnenpriesters vernehmen, der immer noch den glücklichen Gott anrief, den Freund der Quellen und Blumen.
    Father Brown fand Flambeau und sechs andere Leute um den kleinen Schacht versammelt, in den der Lift normalerweise hinabsank. Aber der Lift war nicht hinabgesunken. Etwas anderes war herabgekommen; etwas, das mit dem Lift hätte kommen sollen.
    Während der letzten vier Minuten hatte Flambeau darauf hinabgeschaut; hatte den zerschmetterten Kopf und die blutende Gestalt jener schönen Frau gesehen, die die Existenz der Tragödie verneinte. Für ihn hatte es nie den geringsten Zweifel gegeben, daß es sich um Pauline Stacey handele; und obwohl er nach einem Arzt geschickt hatte, hegte er doch nicht den geringsten Zweifel daran, daß sie tot war.
    Er konnte sich nicht genau erinnern, ob er sie gemocht hatte oder nicht; da gab es zu vieles sowohl zu mögen wie auch nicht zu mögen. Aber für ihn war sie ein Mensch gewesen, und das unerträgliche Pathos der Einzelheiten und der Gewohnheit peinigte ihn mit all den kleinen Dolchen des Verlustes. Er erinnerte sich ihres schönen Antlitzes und ihrer spröden Reden mit einer plötzlichen geheimen Lebendigkeit, die da die ganze Bitternis des Todes ist. In einem einzigen Augenblick war dieser schöne und abweisende Körper wie ein Blitz aus heiterem Himmel, wie ein Donnerkeil aus dem Nichts den offenen Schacht des Liftes hinab in den Tod auf dem Grunde gestürzt. War es Selbstmord? Bei einer so anmaßenden Optimistin erschien das unmöglich. War es Mord? Aber wer war da in dem kaum bewohnten Gebäude, um irgendwen zu ermorden? In einem heiseren Wortschwall, den er für kraftvoll hielt und plötzlich als schwächlich erkannte, fragte er, wo der Bursche Kalon sei. Eine Stimme, die wie üblich schwer, ruhig und voll klang, versicherte ihm, daß Kalon während der letzten fünfzehn Minuten auf seinem Balkon gestanden und seinen Gott angebetet habe. Als Flambeau die Stimme hörte und die Hand Father Browns fühlte, wandte er ihm sein dunkles Gesicht zu und sagte schroff:
    »Wenn er die ganze Zeit da oben gewesen ist, wer kann es dann getan haben?«
    »Vielleicht«, sagte der andere, »sollten wir hinaufgehen und es herausfinden. Wir haben eine halbe Stunde, bevor die Polizei da sein wird.«
    Flambeau überließ den Körper der ermordeten Erbin den Ärzten, stürmte die Treppen zum Schreibbüro hinauf, fand es vollkommen leer vor und stürmte höher in sein eigenes. Nachdem er es betreten hatte, kehrte er mit einem neuen und weißen Gesicht zu seinem Freund zurück.
    »Ihre Schwester«, sagte er mit unerfreulichem Ernst, »ihre Schwester scheint zu einem Spaziergang ausgegangen zu sein.«
    Father Brown nickte. »Oder sie kann in das Büro des Sonnenmannes hinaufgegangen sein«, sagte er. »Wenn ich Sie wäre, würde ich zunächst das feststellen, und dann wollen wir die Sache in Ihrem Büro durchsprechen. Nein«, sagte er plötzlich, als ob er sich an etwas erinnere; »ob ich wohl jemals klüger werde? Natürlich in ihrem Büro unten.«
    Flambeau starrte; aber er folgte dem kleinen Father die Treppen hinab in das leere Büro der Staceys, wo jener undurchdringliche Pastor sich einen großen roten Ledersessel mitten in den Eingang stellte, von wo aus er die Treppen und Absätze überblicken konnte, und wartete. Er wartete nicht sehr lange. Innerhalb von etwa vier Minuten stiegen drei Gestalten die Treppen herab, einander lediglich in ihrer Feierlichkeit ähnlich. Die erste war Joan Stacey, die Schwester der toten Frau – offenbar war sie oben in dem zeitweiligen Tempel Apolls gewesen; die zweite war der Priester Apolls selber, der, nachdem er seine Litanei beendet hatte, die leeren Treppen in herrlicher Pracht herabwandelte – etwas an seinen weißen Roben, dem Bart, dem gescheitelten Haar erinnerte an Dorés Christus, der das Praetorium verläßt; die dritte war Flambeau, mit finsterer Stirn und einigermaßen verblüfft.
    Miss Joan Stacey, mit verkniffenem Gesicht und einem vorzeitigen Anflug von Grau im Haar, ging direkt zu ihrem Schreibtisch und ordnete ihre Papiere mit

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