Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
Vom Netzwerk:
Fußbodenbelags.
    »Ja«, sagte Kalon gelassen.
    »Aha! Sie ist dann seither offen gewesen«, sagte der andere und nahm sein schweigsames Studium des Bodenbelags wieder auf.
    »Da drüben liegt ein Stück Papier«, sagte die grimme Miss Joan mit etwas seltsamer Stimme. Sie war zum Schreibtisch ihrer Schwester neben der Tür getreten und hielt ein Stück blauen Konzeptpapiers in der Hand. Auf ihrem Gesicht lag ein säuerliches Lächeln, das für eine solche Szene und Gelegenheit sehr unpassend erschien, und Flambeau sah sie mit sich verfinsternder Stirne an.
    Kalon der Prophet hielt sich mit jener königlichen Unbefangenheit von dem Papier fern, die ihn bis hier getragen hatte. Aber Flambeau nahm es der Dame aus der Hand und las es mit dem größten Erstaunen. Es begann tatsächlich in der üblichen Form eines Testamentes, aber nach den Worten »Ich schenke und vermache alles, was ich bei meinem Tode besitze« brach es jählings in eine Kritzelei ab, und vom Namen irgendeines Erben war da keine Spur. Flambeau reichte dieses abrupt endende Testament verwundert seinem klerikalen Freund, der es überflog und schweigend an den Priester der Sonne weiterreichte.
    Einen Augenblick später hatte jener Hohepriester in seinen glänzenden wallenden Gewändern den Raum mit zwei großen Schritten durchmessen und stand dräuend über Joan, wobei ihm seine blauen Augen aus dem Kopf quollen.
    »Was für Gaunertricks hast du da gespielt?« schrie er. »Das ist nicht alles, was Pauline geschrieben hat.«
    Sie hörten ihn zu ihrer Verblüffung mit einer völlig neuen Stimme ein schrilles Yankee-Englisch sprechen; all seine Großartigkeit und sein ausgezeichnetes Englisch waren von ihm wie ein Umhang abgefallen.
    »Das war das einzige Stück auf ihrem Schreibtisch«, sagte Joan und sah ihn stetig mit dem gleichen Lächeln tiefer Abneigung an.
    Und plötzlich brach der Mann in eine Sturzflut lästerlicher und ungläubiger Worte aus. Das Fallenlassen seiner Maske hatte etwas Erschütterndes; es war, als falle einem Mann sein wirkliches Gesicht ab.
    »Hör zu!« schrie er in breiigem Amerikanisch, vom Fluchen außer Atem; »vielleicht bin ich ’n Abenteurer, aber du bist ne Mörderin. Jawoll, die Herren, hier habt ihr euren Tod erklärt, und ganz ohne Levitation. Das arme Mädchen schreibt ein Testament zu meinen Gunsten; ihre verfluchte Schwester kommt rein, kämpft mit ihr um die Feder, zerrt sie zum Schacht und schmeißt sie runter, ehe sie fertig ist. Scheiße! Wir wern die Handschellen doch noch brauchen.«
    »Wie Sie so richtig bemerkt haben«, erwiderte Joan in verächtlicher Ruhe, »ist Ihr Sekretär ein achtbarer junger Mann, der das Wesen eines Eides kennt; und er wird vor jedem Gericht beschwören, daß ich oben in Ihrem Büro war, um bestimmte Schreibarbeiten vorzubereiten, von 5 Minuten vor bis 5 Minuten nach dem Sturz meiner Schwester. Und Mr. Flambeau wird aussagen, daß er mich dort angetroffen hat.«
    Schweigen herrschte.
    »Dann also«, rief Flambeau, »war Pauline allein, als sie stürzte, und es war Selbstmord!«
    »Sie war allein, als sie stürzte,« sagte Father Brown, »aber es war kein Selbstmord.«
    »Wie ist sie denn dann gestorben?« fragte Flambeau ungeduldig.
    »Sie wurde ermordet.«
    »Aber sie war doch ganz allein«, widersprach der Detektiv.
    »Sie wurde ermordet, während sie ganz allein war«, antwortete der Priester.
    Die anderen alle starrten ihn an, aber er blieb in der gleichen niedergeschlagenen Haltung von vorhin sitzen, mit einer Falte auf seiner runden Stirn und dem Ausdruck von unpersönlicher Scham und Trauer; seine Stimme war farblos und düster.
    »Was ich wissen will«, schrie Kalon mit einem Fluch, »ist, wann die Polizei sich diese blutbefleckte gottverdammte Schwester abholt. Sie hat ihr eigen Fleisch und Blut ermordet; sie hat mich um eine halbe Million beraubt, die mindestens so unverbrüchlich mir gehörte wie – «
    »Komm, komm, Prophet«, unterbrach ihn Flambeau spöttisch; »denk daran, daß diese Welt nur eine Nebelbank ist.«
    Der Hierophant des Sonnengottes unternahm eine Anstrengung, wieder auf sein Podest zu klettern. »Es geht ja nicht allein ums Geld«, rief er, »obwohl das unsere Sache in der ganzen Welt auf sicheren Boden stellen würde. Es geht ja auch um die Wünsche meiner so sehr Geliebten. Pauline war das alles heilig. In Paulines Augen – «
    Father Brown sprang so plötzlich hoch, daß er seinen Sessel glatt umwarf. Er war totenbleich, aber er schien von einer

Weitere Kostenlose Bücher