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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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im Hause sehr belustigt. Er hatte in der Eingangshalle vor dem Lift herumgelungert und auf den Liftboy gewartet, der gewöhnlich die Fremden auf die einzelnen Etagen bringt. Aber dieses glanzäugige Falkenmädchen hatte sich offen geweigert, eine derartige amtliche Verzögerung hinzunehmen. Sie erklärte scharf, daß sie alles über den Lift wisse und nicht von Boys abhängig sei – oder von Männern. Und obwohl ihr Büro nur drei Stockwerke hoch lag, gelang es ihr in den wenigen Sekunden der Auffahrt, Flambeau den größten Teil ihrer grundsätzlichen Ansichten aus dem Stegreif vorzutragen; sie liefen insgesamt darauf hinaus, daß sie eine moderne arbeitende Frau sei und moderne Arbeitsmaschinen liebe. Ihre glänzenden schwarzen Augen blitzten in abstraktem Ärger wider jene, die die mechanische Wissenschaft ablehnen und die Wiederkehr der Romantik ersehnen. Jeder, sagte sie, sollte imstande sein, Maschinen zu bedienen, so wie sie imstande sei, den Lift zu bedienen. Es war ihr geradezu unangenehm, daß Flambeau die Lifttür für sie öffnete; und dieser Gentleman wanderte hinauf zu seinen eigenen Räumen und lächelte mit einigermaßen gemischten Gefühlen in der Erinnerung an so viel feuerspeiende Selbst-Abhängigkeit.
    Sie hatte zweifellos Temperament, von einer zupackenden praktischen Art; die Gesten ihrer dünnen, eleganten Hände waren schroff oder gar zerstörerisch. Einmal betrat Flambeau ihr Büro in irgendeiner Schreibarbeitenangelegenheit und stellte fest, daß sie gerade die Brille ihrer Schwester mitten ins Zimmer geschleudert hatte und darauf herumstampfte. Sie befand sich mitten in den Katarakten eines ethischen Wortschwalls über die »kränklichen medizinischen Ansichten« und das krankhafte Eingeständnis von Schwäche, die ein solches Gerät einschließe. Sie verbot ihrer Schwester, je wieder solch künstlichen, ungesunden Dreck mit ins Büro zu bringen. Sie fragte, ob man vielleicht von ihr erwarte, daß sie Holzbeine trüge, oder falsche Haare, oder Glasaugen; und während sie sprach, funkelten ihre Augen wie schrecklicher Kristall.
    Flambeau, den dieser Fanatismus sehr verblüffte, konnte sich nicht enthalten, Fräulein Pauline (mit unverblümter französischer Logik) zu fragen, wieso eine Brille ein krankhafteres Zeichen von Schwäche sei als ein Lift, und wenn die Wissenschaft uns in dem einen Fall helfen dürfe, warum dann nicht auch in dem anderen.
    »Das ist doch etwas ganz anderes«, sagte Pauline Stacey hochfahrend. »Batterien und Motoren und all solche Sachen sind Bekundungen der Kraft des Menschen – ja, Mr. Flambeau, auch der Kraft der Frauen! Auch wir werden unseren Anteil an diesen großen Maschinen haben, die Entfernungen verschlingen und uns von der Zeit befreien. Das ist groß und herrlich – das ist wahre Wissenschaft. Aber diese ekelhaften Ersatzteile und Pflästerchen, die einem die Ärzte verkaufen – das sind doch nur Abzeichen der Feigheit. Die Ärzte kleben einem Beine und Arme an, als ob wir geborene Krüppel wären und kränkliche Sklaven. Ich aber wurde frei geboren, Mr. Flambeau! Die Leute bilden sich nur ein, daß sie diese Dinge brauchten, weil sie zu Furcht erzogen sind und nicht zu Macht und Mut erzogen wurden, genauso wie dumme Ammen Kindern erzählen, sie sollten nicht in die Sonne schauen, und also können sie es auch nicht ohne zu zwinkern tun. Warum aber sollte es unter allen Sternen einen Stern geben, den ich nicht sehen darf? Die Sonne ist nicht mein Herr, und also werde ich meine Augen aufmachen und sie anstarren, wann immer ich das will.«
    »Ihre Augen«, sagte Flambeau mit einer ausländischen Verbeugung, »werden die Sonne blenden.« Es machte ihm Spaß, dieser seltsam steifen Schönheit Komplimente zu sagen, auch weil es sie ein bißchen aus dem Gleichgewicht brachte. Als er aber zu seinem Stockwerk hinaufstieg, holte er tief Atem und pfiff leise und sagte zu sich selbst: »Dann ist sie also auch diesem Taschenspieler da oben mit seinem goldenen Auge in die Hände gefallen.« Denn so wenig er von der neuen Religion Kalons wußte oder sich darum kümmerte, von seinen besonderen Ansichten über das In-die-Sonne-Starren hatte er bereits gehört.
    Er fand bald heraus, daß die geistigen Bande zwischen den Stockwerken über und unter ihm eng waren und immer enger wurden. Der Mann, der sich selbst Kalon nannte, war ein herrliches Geschöpf, in physischem Sinne wahrhaft würdig, der Oberpriester Apolls zu sein. Er war fast so groß wie Flambeau und sah

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