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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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bestimmt. Man hat angenommen, dass das erst vor wenigen Jahrhunderten ausgestorbene Volk der Guanchen, das auf den Kanarischen Inseln lebte, also direkt am Seeweg nach Südamerika, von den Phöniziern abstammt. Rund 1000 v.Chr. sollen sie dorthin gekommen sein. Wie dem auch sei, für die Flamingos ist die Atlantiküberquerung Tatsache; für die Phönizier bleibt sie Spekulation. Was könnten diese Seefahrer mit den Flamingos zu tun gehabt haben, dass sich ihre Namen so sehr gleichen? Noch sind die Befunde nicht schlüssig genug.

Deutung und Bedeutung des Phönix
    Lassen wir die diversen Feststellungen Revue passieren. Wo sind Lücken? Wo gibt es Unstimmigkeiten? Der Phönix kam zur Entstehungszeit seines Mythos in Griechenland nicht vor. Er muss auch in der Folgezeit unbekannt geblieben sein, sonst hätte es Korrekturen und Präzisierungen an seinem Bild gegeben. Kernstück seines Vorkommens war Ägypten. In abgewandelter Form verbreitete er sich in Richtung Persien und darüber hinaus bis China, wo er, wie eingangs bereits angedeutet, Feng Huang genannt wurde. Nach Westen hin kam nichts Vergleichbares zustande. Die Römer hatten keinen Anlass, den Namen ihrer Sprache anzupassen. Nur nach Süden, in die arabisch-ostafrikanische Welt, verweisen die Spuren, die sich aus seinem Namen und den »Roten Völkern« ergeben. Bedeutung hatte der Phönix offenbar nur in Ägypten. Dort wurde sein Ei zur Ermöglichung der Wiedergeburt in den Tempel von Heliopolis gebracht. Diese sagenhafte Stadt lag am Nildelta. Aus Oberägypten gibt es anscheinend keine konkreten Hinweise auf die Bedeutung des Benu.
    Aus den klassischen Angaben zu seiner Natur identifizierte ich den Benu beziehungsweise Phönix als Flamingo. Diese Deutung ist nicht neu. Sie liegt auf der Hand. Flamingos passen mit all ihren Eigenschaften bestens. Doch die Interpretation hat Schwächen. Flamingos gibt es rund ums Mittelmeer. Auch wenn sie, wie ausgeführt, gegenwärtig viel regelmäßiger als in früheren Zeiten in dieser Region brüten, können sie nicht wirklich »neu« sein. Waren Flamingos den Römern bekannt? Zweifellos, denn Flamingozungen galten als besonderer Leckerbissen bei den reichen Römern. Flamingos wurden auch als Zeichen von Luxus in den Gärten nobler Römer gehalten. Kaiser Caligula weihte sich am Tag vor seinem Tode durch Besprengen mit Flamingoblut. Die Römer wussten auch, dass der Flamingo in Afrika vorkam, sich stets am Wasser aufhielt und einen so merkwürdig geformten Schnabel hatte, dass er nur mit eingetauchtem Kopf trinken konnte. Einen römischen Namen oder eine Bezeichnung aus Afrika hatte er jedoch nicht. Sie übernahmen den griechischen Namen mit latinisierter Endung Phoenicopterus. Brutkolonien kannten sie also möglicherweise doch nicht, so dass ihnen jener Teil der Lebensgeschichte verborgen blieb, der mit dem Verbrennen und der Wiederauferstehung verbunden ist. Auch im hellenistischen Griechenland gab es wohl, wie auch gegenwärtig, Flamingos an manchen Küsten, aber ziemlich sicher keine Brutkolonien. Aristophanes hatte den Vogel als seltenen Küsten- und Seenbesucher mit schönem roten Gefieder beschrieben und so treffend Phoinikopteros (= phönixfarbener Flügel, Rotflügel) genannt, dass diese Bezeichnung auch in die wissenschaftliche Namensgebung zweieinhalb Jahrtausende später einging. Heliodorus unterschied (!) den Phoinikopteros vom Phönix und verwies darauf, dass der »Rotflügel« ein Vogel des Nildeltas sei. Somit kannten die Alten Griechen sehr wohl den Flamingo.
    Es wurde also schon früh spekuliert, dass es sich beim Phönix um einen anderen Vogel als den Flamingo gehandelt hatte. Benu glich auf altägyptischen Darstellungen zudem eher einem Reiher als einem Flamingo. Sein Gefieder konnte auch blau getönt (!) sein und Partien von Gold aufweisen. Einen Goldfasan ( Chrysolophus pictus ) aus China darin erkennen zu wollen ginge am Kern des Phönix jedoch vorbei. Keine der übrigen, insbesondere der ihn so bezeichnenden Eigenschaften des Verbrennens und der Wiederauferstehung, lässt sich auch nur im Entferntesten mit dem Goldfasan in Verbindung bringen. Dazu passen allemal nur die Flamingos. Den historischen Berichten zufolge trat der Phönix in sehr großen Zeitabständen auf, die offenbar auf das ägyptische Sonnenjahr bezogen waren. Wenn er kam, begleiteten ihn viele (andere) Vögel. Auch das langjährige Fernbleiben deutet auf Flamingos. Warum sollte dieser unstete Vogel aber nur in Ägypten so

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