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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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schlief sie am Abend mit ihrem Gatten. Die Folge waren Zwillinge. In dieser Version bleibt alles im menschlichen Bereich. Der Verführer wurde einfach zu Zeus umfunktioniert, und die Bedrohung durch den Adler gab den Grund für das zum Dank für die Beschützung gewährte weibliche Entgegenkommen. Ganz anders die zweite Version. Sie geht von der Ähnlichkeit der Namen kyknos  = Schwan, der auf Attika jedoch, wenn überhaupt, nicht allgemein bekannt war, und kynos  = Hund aus. Falls Leda mit einem großen weißen Hirtenhund am Berg unterwegs war, wie er zum Schutz der Schafherden gegen Wölfe und andere Gefahren in Gebrauch gewesen ist, würde die Verbindung »stimmig«. Sodomie war in hellenistischer Zeit nichts Ungewöhnliches. Vorstellungen von Mensch-Tier-Mischwesen stehen damit in Zusammenhang. Wie etwa der Minotaurus von Kreta, der Stier(köpfige)-Mensch. Eine Sodomie mit dem die schöne Dame begleitenden Hirtenhund hätte sich trefflich in der Form des Mythos umschreiben lassen. Wer Bescheid wusste, verstand, was gemeint war. Es ist anzunehmen, dass zur ›Klarstellung‹ das Ei oder die beiden Eier, aus denen die Kinder hervorgingen, erst nachträglich, vielleicht erst zu Zeiten der Römer, angefügt wurden. Umgang mit Hunden gab es zudem keineswegs nur in jenen fernen Zeiten. Der Ausdruck »Schoßhund« verweist darauf. Sodomie wurde erst in jüngerer Vergangenheit verwerflich und als Abartigkeit strafbar. Am häufigsten kam sie wohl vor, wenn Männer allein mit Schafherden unterwegs waren und (junge) Frauen wegen Abwesenheit der Männer in Kriegen oder auf See sehr lange allein sein mussten. Sodomie wurde in den letzten Jahrhunderten aus dem Bewusstsein verdrängt und der Homosexualität als Abartigkeit nahezu gleichgestellt. Michelangelos Bild von Leda mit dem Schwan war offenbar auch so verstanden worden. Das Original verschwand, nachdem es zuerst gar nicht zu Alfonso d’Este nach Ferrara gelangte, der es in Auftrag gegeben hatte. Michelangelos Schüler Antonio Mini brachte es 1532 an den französischen Hof nach Fontainebleau. Unter Ludwig XIII. wurde es angeblich vernichtet, weil es von seiner Gemahlin Anna von Österreich für unmoralisch und obszön gehalten wurde. Um 1740 soll es noch vorhanden, aber in schlechtem Zustand gewesen sein. Danach ist nichts mehr über den Verbleib bekannt.

Schwanengesang am Eridanos
    Man könnte es nach heutigem Sprachgebrauch für einen ›Schwanengesang‹ auf den Schwan halten. Tatsächlich inspirierte es aber Künstler bis in die Gegenwart immer wieder. So wie der ›Schwanengesang‹ sprichwörtlich wurde, obgleich – oder vielleicht gerade weil – die Benutzer dieses Ausdrucks nichts darüber wissen. Schwäne singen nicht, um diese Feststellung nochmals zu bekräftigen. Sie singen auch nicht bei ihrem Tode. Sokrates, der in seinem Werk Phaidon den Todesgesang des Schwans damit erklärt, dass dieser das Gute in der Unterwelt, im Totenreich, kenne, war entweder selbst einer Verwechslung erlegen oder falsch interpretiert worden. Einem verbreiteten altgriechischen Mythos zufolge stimmt Kyknos (der Schwan?) vor seinem Tod ein wunderschön trauriges letztes Lied an. Einer Version zufolge wandelte Kyknos in einem Pappelhain am Fluss Eridanos und beklagte den Verlust seines besten Freundes Phaeton. Die Götter belohnten seine Klage, indem sie ihn in das Sternbild des Schwans verwandelten. Sokrates’ Erklärung blieb ohne größere Nachwirkung bis in die Neuzeit. Es waren Autoren und Musiker des 18. und 19. Jahrhunderts, die den Topos des Schwanengesangs aufgriffen und verbreiteten. Die Wirkung des Denkens der Romantik ist unverkennbar. Heutzutage ließe sich die als ›Schwanengesang‹ deklarierte, letzte Rede eines Politikers ironisch als Abgesang verstehen: nutzlos verströmter Atem aus der Luftröhre; kein Gesang und keine Botschaft! In dieser Hinsicht ist Tschaikowskys Schwanensee als Verwechslung mit dem ballettartigen Tanz der Kraniche jedenfalls besser gelungen.
    Der ›Schwan‹ der griechischen Antike bleibt nach all diesen Erwägungen immer noch ein Rätsel. Zu oft ist sein Name in den alten Schriften und in den Mythen erwähnt, zu viel war mit ihm verbunden worden, als dass er nichts weiter als eine reine Erfindung sein könnte. Gehen wir den Spuren nochmals nach. Der Schwanengesang hat neue Anhaltspunkte geliefert. Es ging darin um traurig-wohltönende Laute. Schwäne bringen keine solchen zustande. Aber vielleicht kommt ein anderer Vogel dafür in

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