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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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dieser gar nicht direkt gemeint gewesen sein konnte, ergibt sich eigentlich ganz von selbst aus den Umständen der Geschehnisse und der Tatsache, dass unsere heutigen Vorstellungen davon gar nicht den alten Quellen entstammen, sondern der Renaissance und den in dieser Zeit geschaffenen Bildern. Denn Schwäne waren, wie schon ausgeführt, in hellenistischer Zeit höchst seltene Wintergäste in Griechenland, zumal in der weit südlich gelegenen Region um Athen und Sparta. Die Menschen, denen das Geschehen zwischen Leda und dem Schwan vorgetragen wurde, hätten mit dem Vogel Schwan wenig anfangen können. Auch zwischen dem Trojanischen Krieg und der Fertigung des Wandbildes in Pompeji mit der Darstellung von Leda war bereits mehr als ein Jahrtausend vergangen. Für die Römer war Troja ein Mythos fast so wie für uns. Der »Schwan«, wie er nun einschränkend bezeichnet werden soll, beschützte Leda am Berg (1.) vor dem Angriff eines Adlers (2.). Doch Schwäne fliegen nicht auf Bergeshöhen und sie schützen auch nicht vor Adlern. Ihr Lebensbereich ist das Wasser. Auf diesem und sonst nirgendwo können sie durchaus mit ihren Drohgebärden und Flügelschlägen Feinde (von ihren Jungen) abwehren, denen sie an Land ganz und gar nicht gewachsen wären. Der einzige Feind, den Schwäne zu fürchten haben, ist der (See)Adler.
    Aristophanes beschreibt in seiner Allegorie Vögel eigentlich alle Vogelarten ganz zutreffend. Schwäne kommen darin nicht direkt vor, sondern lediglich in Umschreibungen oder eingefügt durch unzutreffende Übersetzungen aus dem Altgriechischen. So heißt es (nach Gesang mit Flötenbegleitung der Nachtigall): »Und Schwäne stimmten – tiotio tiotio tiotix – Lieder mit an und jauchzen laut, mit den Flügeln schlagend zum Preis des Apollon – tiotio tiotix!« Schwäne singen nicht, auch nicht flügelschlagend. Wenig später wendet sich ein Priester im selben Stück an den »pythischen und delischen Schwan«. Aristophanes muss nicht näher erläutern, was er damit meint: Die Orakel der Seherin Pythia in Delphi und des Apollon auf Delos, eines zur Zeit des Attischen Bundes besonders geschätzten Orakels. Weder zu Delphi, noch zur winzigen, sehr trockenen Insel Delos mitten in der Ägäis passt der Schwan. Das einzig Passende zur Geschichte ist die Tatsache, dass das Schwanenmännchen wie auch die Erpel seiner kleineren Verwandtschaft der Entenvögel einen Penis hat. Schwäne und Enten können sich deshalb auf dem Wasser paaren (3.). Dabei fasst das Männchen das Weibchen mit dem Schnabel am Hinterkopf und drückt es möglichst flach nieder. Nur in einer solchen Stellung ist die Einführung des Penis in die Kloake des Weibchens möglich. Diese ist jedoch nicht »tief«, sondern ein flacher, kurzer Raum, in dem die Ausscheidungsprodukte von Darm und Nieren zu einem Brei zusammengeführt werden. Der Eileiter der Weibchen mündet in diese Kloake. Diesen anatomischen Gegebenheiten zufolge ist eine Paarung zwischen Menschenfrau und Schwanenmann reichlich unwahrscheinlich; so unmöglich wie das Eierlegen einer Menschenfrau. Den in der Naturkunde so viel besser als die Menschen des Spätmittelalters bewanderten Alten Griechen hätte eine derartige Vorstellung wohl kaum mehr als ein müdes Lächeln abgewinnen können. Das Ei konnte nur im übertragenen Sinne zu verstehen sein. Wir meinen das auch so, wenn gesagt wird, »dem ist ein Kuckucksei ins Nest gelegt worden!« Alle drei der oben aufgeführten Punkte vertragen sich nicht mit der Deutung von kyknos ( cygnus ) im Mythos von Leda und dem Schwan. Zeus hatte zwar viele Gestalten angenommen, aber keine unsinnigen. Was mit Leda wirklich geschah, sollte möglicherweise umschrieben, »durch die Blume« ausgedrückt werden, oder der Schwan war kein Schwan, sondern etwas anderes.
    Zwei Alternativen sind vorstellbar. Die erste geht von der Bedeutung des Ausdrucks »mein lieber Schwan« aus. Mit tadelndem Ton wird so jemand angesprochen, der einem nicht gerade einen Liebesdienst erwiesen hat. Gemeint ist beides nicht, weder ›lieber‹, noch ›Schwan‹, sondern ein Mensch, der sich gerade nicht freundschaftlich, nicht »lieb« verhalten hat. Wie Zeus bei Leda oder der Freund, den sie draußen am Berg, wo sie allein (!) unterwegs war, getroffen hatte. Sie wurde geschwängert. Da Frauen durchaus spüren können, ob der Seitensprung gerade in ihre fruchtbaren Tage hineinfällt und sie in diesen sogar hormonell besonders geneigt sind, einen solchen zu begehen,

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