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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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Verwicklungen, bei denen es auch zu Kämpfen mit den Bistonen kam, gelang es Herakles, die vier Stuten zu Eurytheus zu bringen. Dieser weihte sie der Zeusgattin Hera und baute eine Pferdezucht mit ihnen auf. Das berühmte Ross von Alexander dem Großen, Bukephalos, soll von den Stuten des Diomedes abstammen.
    Dass Pferde, zumal Stuten, recht bissig sein können, weiß jeder Pferdehalter. Zu Menschenfressern müssen sie deswegen nicht gemacht werden. Da Diomedes die Pferde schwer angekettet gehalten hatte, ist es diesen nicht zu verdenken, dass sie zu beißen versuchten. Stuten lassen sich von starker Hand gut führen. Herakles war stark. Es genügte wohl, dass die an sich mit schönen Namen bedachten Pferde ihren Peiniger gebissen hatten – oder auch nicht. Herakles tötete ihn jedenfalls entweder selbst und ganz direkt oder unter Mitwirkung der bissigen Stuten. Diomedes war offenbar kein Pferdekenner. Die Angst vor seinen Stuten mag auch daher gekommen sein, dass es sich um große, kräftige Pferde gehandelt hatte, wie sie bereits die Kelten züchteten. Pferde sind Tiere des weiten offenen Landes. Gezähmt hatten sie die zentralasiatischen Steppenvölker. Im Vorderen Orient waren sie wie auch im Griechenland des Klassischen Altertums noch nicht lange heimisch. Die ostmediterranen Völker gehörten zu den »Rinderkulturen«. Reitervölker bedrohten sie immer wieder wie auch das übrige mittlere und westliche Europa mit seinen bäuerlich-sesshaften Kulturen.
    Noch heute verläuft ein Trennstreifen mehr oder weniger diagonal durch Europa vom Südosten, vom Balkan her, nach Nordwesten. Östlich davon steht wie bei den Alten Germanen das Pferd in hoher Achtung; südlich und südwestlich davon das Rind. Wo es Abweichungen von diesem Grundmuster gibt, lassen sich diese, wie etwa in Südfrankreich und auf der Iberischen Halbinsel, mit historischen Vorgängen gut nachvollziehen. Denn ein starker Germanenstamm, die (West-)Goten, war aus dem Ostseeraum zunächst zum Schwarzen Meer gezogen, hatte sich dort in die West- und in die Ostgoten geteilt und sich weiter verlagert. Die Westgoten kamen schließlich im mittelmeernahen Südwesten Frankreichs und in Spanien zur Ruhe, wo ihr Land, das Gotenland, zu Gotalandia und Catalunya (Katalonien) wurde. Unter dem Einfluss der Goten und später, während der maurischen Besetzung großer Teile Spaniens, gelangte dort das Pferd zu hoher Bedeutung, wenngleich das Rind deshalb nicht wirklich zurückgedrängt wurde. Im Stierkampf spiegelt sich ein Rest der historischen Auseinandersetzung von Pferd und Rind wider. Sieger wird zumeist das Pferd, weil es mit dem Reiter eine Einheit bildet, während der Stier für sich allein zu kämpfen hat.
    Den Alten Griechen waren großenteils Pferde noch ziemlich unheimlich. Ihr enges, kleinräumig gegliedertes Land begünstigte die Ausrichtung auf das Meer, nicht die Nutzung schneller Pferde und Reiterheere. Der Aufbau einer Pferdezucht in der Region von Argolis auf dem Peloponnes, wo die Hydra Schwierigkeiten gemacht hatte, bevor Herakles sie vernichtete, war eine Besonderheit. Gegen Reiterheere auf weiten, offenen Ebenen hätten die Griechen keine Chancen gehabt. Die »Entführung« der vier Zuchtstuten aus Thrakien stellte daher einen Schritt zur Modernisierung dar. Herakles war aus Sicht der Thraker ein Räuber.
    Dass er auf Frauen wirkte, war bei seinen Kräften nicht verwunderlich. Schon als Heranwachsender hatte er sich angeblich an fünfzig jungen Frauen stärken können, bevor er den ersten Löwen erlegte und ihm das Fell abzog. Dass sich nur eine der ihm Zugedachten weigerte, sich hinzugeben, weil sie unberührte Priesterin werden sollte, glich er damit aus, dass ihm eine andere dafür Zwillinge gebar. Fünfzig Kinder in fünfzig Nächten waren ein Ergebnis, das seine Potenz als Frauenheld mehr als überzeugend bewiesen hatte. In der neunten Aufgabe sollte er sich nun erneut beweisen, und zwar an der »Schwierigsten« überhaupt. Es ging um Hippolyte, Königin der gefürchteten Amazonen, und ihren Gürtel voller magischer Kräfte. Sie hatte diesen von ihrem Vater Ares bekommen. Somit war sie eine enge Verwandte von Diomedes, den Herakles vorher seinen menschenfressenden Pferden vorgeworfen hatte. Nun sollte er besagten Gürtel beschaffen – eine heikle Aufgabe, zumal er es nicht allein mit der Königin Hippolyte, einer Reiterin, wie ihr Name verrät, sondern mit einer großen Schar bogensicherer und gefürchteter Kriegerinnen zu tun bekommen

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