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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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geschäumt haben soll. Die Stiere der Antike waren allerdings gewiss noch ›natürlicher‹ als die heutigen der hochgezüchteten Rassen, deren Beweglichkeit allein durch das gewaltige Körpergewicht von bis zu 1000 Kilogramm eingeschränkt wird. Im minoischen Kreta waren Stierkampfspiele sehr beliebt. Dabei ging es, ähnlich wie beim provenzalischen und portugiesischen Stierkampf, nicht darum, den Stier zu töten, sondern möglichst geschickt und kunstvoll auf ihm zu turnen. Stier-Spiele sind auf Wand- und Vasenbildern sehr detailliert dargestellt. Ein weißer sollte seiner Natur nach umgänglicher als ein wildfarbener schwarzer Stier sein. Das war bei dem minoischen nicht der Fall. Woher dieser gekommen war, verriet die Sage nicht. Aus Kleinasien oder Ägypten? Die Ägypter züchteten Rinder. Sie hatten bereits mehrere klar unterscheidbare Rassen. Ich komme im nächsten Kapitel darauf zurück. Grundsätzlich gingen die Menschen der Antike aber wie die heutigen davon aus, dass hellfarbene oder weiße Tiere friedlicher und besser zähmbar sind als dunkle oder schwarze. Das Ausmaß der Produktion von braunen und schwarzen Farbstoffen, den Melaninen, steht in Zusammenhang mit den männlichen Geschlechtshormonen. Je höher deren Pegel im Blut ist, desto aggressiver sind die betreffenden Individuen und umgekehrt. Deshalb gilt bei den Pferden der Rappe als besonders feurig, der Schimmel hingegen als sehr edel. Auch darauf habe ich bereits hingewiesen . Weißlinge (Albinos und Teilalbinos) gelten als anfällig für Krankheiten. Störungen des normalen Verhaltens treten häufiger als bei normal gefärbten Individuen auf. Der weiße minoische Stier könnte so ein (Teil)Albino gewesen sein. Vielleicht war er vom übrigen Vieh getrennt großgezogen worden, aber dann doch störrischer als erwartet. Er kann bei einem Schiffstransport nahe Kreta ins Meer gesprungen und an Land geschwommen sein. Oder man hatte ihn als besonderen Opferstier gebracht. Möglichkeiten gibt es viele; nicht nur denkbare, sondern durchaus plausible, denn Kreta war damals eines der Zentren des Stierkultes.
    Die eigenwillige Königin Pasiphae braucht gar keine so abartigen Neigungen gehabt zu haben, wie es der Mythos des Minotaurus erzählt. Der Stierkopf kann eine Maske bei ihren erotischen Eskapaden gewesen sein. Masken zu tragen war in der Antike nicht ungewöhnlich. Wenn ihr Sohn wahnsinnig geworden war und mit Stiermaske herumzulaufen und zu toben pflegte, bot die Einsperrung in das Labyrinth eine passable Lösung. Welcher König will schon einen rasenden Irren als Sohn haben? Außerdem war in der griechischen Antike der Verkehr mit Tieren, wie schon bei der Geschichte von Leda und dem Schwan betont, nicht annähernd als so abartig angesehen wie in unserer Zeit. Verführer, wie Zeus oder der Waldgeist Pan, bedienten sich der Tiergestalten, um sich Menschen, vor allem Mädchen und bereitwilligen Frauen zu nähern.
    Die Zähmung der menschenfressenden Pferde des Diomedes von Thrakien war die achte Aufgabe. König Diomedes war ein Sohn des Kriegsgottes Ares. Diese Abkunft sagt eigentlich schon alles. Denn Ares war der griechische Gott des schrecklichen Krieges und keineswegs gleichbedeutend mit dem römischen Kriegsgott Mars. Woher sein Name stammt, ist anscheinend noch nicht sicher geklärt, aber viel deutet auf das bronzezeitliche Thrakien hin. Er stand für Mord und Rache. In Mykenischer Zeit (1600 bis 1050 v.Chr.) war er bereits in Griechenland bekannt und möglicherweise mit einem Fruchtbarkeitsgott verbunden worden, der aus vorgriechischer Zeit stammte. Die Thraker, die am Schwarzen Meer und in den angrenzenden Regionen des heutigen Bulgariens und Makedoniens lebten, galten in der griechischen Antike als sehr kriegerisch, aber untereinander zerstritten. Herodot meinte, die Thraker könnten das mächtigste Volk der Erde sein, wenn sie sich einigten. Diomedes war König des Stammes der Bistonen, die zu den Thrakern zählten. Er hatte vier Stuten, die so wild waren, dass sie mit Eisenketten an eine Futterkrippe aus Eisen geschmiedet waren. Sie hießen Deinos, Lampon, Podargos und Xanthos. Deinos bedeutete »die Schreckliche«, wie auch die Dinosaurier die »schrecklichen Echsen« sein sollten. Lampon »die Leuchtende«, Podargos »die Silberfüßige« und Xanthos »die Gelbe«. Als Futter sollen sie nur Menschenfleisch angenommen haben. Herakles warf ihnen ihren Herrn, den König Diomedes, zum Fraße vor und zähmte sie damit. Nach einigen

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