Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Vergiften seiner Pfeile verwendet worden sein. Mit Kerberos und seinem Speichel hat sich der Kreis geschlossen. Das mythische Tier erhielt in der klassischen Zeit Griechenlands durch Sokrates eine veränderte Bedeutung. Beim Zeus schworen die Hellenen. Doch Sokrates verdrehte den Schwur als er sich gegen die Athener verteidigen sollte, die ihn angeklagt hatten, und benutzte Kerberos als »Zeuge«:
Und – beim Hunde! –, ihr Athener,
denn ich muss die Wahrheit zu euch reden;
wahrlich es erging mir so.
(Platon: Verteidigung des Sokrates)
Was der Mythos von Herakles/Herkules enthält, kristallisiert sich im Überblick ziemlich klar heraus. In drei der zwölf Prüfungen geht es um Rinder – um einen Stall voller Rinder, der ausgemistet werden soll, um einen weißen Stier, der Zucht- oder Opferstier werden sollte, und um rote Stiere aus Iberien. Das Rind als Tier nimmt also allein ein Viertel der Aufgaben in Anspruch. Mit den Pferden aus Thrakien kommt ein weiteres, für die Zucht bedeutsames Haustier hinzu. An der Grenze dazu bewegt sich der Eber, der Wildblut in die Hausschweine hineinbringen könnte oder hineingebracht hat. Er steht, wie auch der Hirsch/die Hirschkuh für das Privileg der Jagd, die mit ihrer Bevorzugung des Wildes den Ertrag der Felder der Bauern beeinträchtigt. Der Löwe muss abgewehrt werden; jedoch offensichtlich mehr wegen der Verluste an Vieh, die von ihm verursacht werden. Er hat also auch mit Rindern zu tun. Die Hydra steht auf jeden Fall für Wasser und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach für giftiges oder schädliches Wasser, das aus einem unterirdischen See bei einer alten Ziegelbrennerei gekommen ist. Es gefährdet die Felder, wie auch die Vögel, die das Saatgut verzehren und die, mit spitzen Schnäbeln ausgestattet, im Schilf eines nahen Sees brüten. Damit sind es schon neun der zwölf Prüfungen, die mit der Landbewirtschaftung in Verbindung zu bringen sind. Die restlichen drei gehören in ganz unmittelbarer Weise zu Leben und Tod der Menschen. Der Amazonenkönigin musste der (Keuschheits- oder Schutz-)Gürtel abgenommen werden, weil sich diese kriegerischen Frauen zu sehr wie Männer verhielten. Frauen hatten Kinder zu bekommen und aufzuziehen! Die Goldenen Äpfel aber sollten die unweigerlich schwindende Jugend erhalten und andauern lassen. Schließlich gelang es auch dem Helden nur für ganz kurze Zeit, dem Höllenhund die Kontrolle über den Zugang zur Unterwelt zu entreißen. Er musste den Hund wieder zurückbringen. Danach starb er an einer weiteren der vielfältigen Verstrickungen seines Lebens: Er ließ sich auf dem Berg Öta lebendig verbrennen, nachdem er das mit dem Blut seiner zweiten Frau, der Königstochter Deianeira, getränkte Unterkleid angezogen hatte. Sie hatte es Herakles aus Rache dafür gegeben, dass er sich einer anderen Frau zugewandt hatte. Das Kleid verwuchs mit seiner Haut und bereitete ihm so unsägliche Schmerzen, dass er diese nicht mehr auszuhalten vermochte. War das Kleid mit rotem Blutlaugensalz, also mit Zyanid, getränkt, nicht mit dem leibhaftigen Blut der verlassenen zweiten Frau? Das Ende von Herakles bleibt ein Rätsel.
Löwen und Zyklopen
In der Antike lebten noch Löwen ( Panthera leo ) in Europa. Ihr Vorkommen reichte von Kleinasien her bis zum östlichen Balkan. Im ganzen Vorderen Orient waren sie verbreitet. Ein kleiner Rest dieser asiatischen Löwen existiert noch im Ghir Wald des südwestlichen indischen Bundesstaates Guajarat unweit des Rann of Kutch. Dort gibt es, wie im Kapitel über den Phönix ausgeführt, Flamingos und gelegentlich sogar die afrikanischen Zwergflamingos. Der Ghir Wald und der Rann of Kutch markieren gegenwärtig die äußersten östlichen Außenposten dieser ansonsten nur noch in Afrika verbreiteten Tiere. Es fällt vielleicht schwer, sich vorzustellen, dass das vor zweieinhalbtausend Jahren anders war. Damals gab es Löwen noch weiter nach Zentralasien hinein. Sie kamen in Persien vor und auf der Arabischen Halbinsel, in Palästina und Kleinasien und eben auch in den angrenzenden Teilen Südosteuropas. Eine solche, sogar noch weit darüber hinaus reichende Verbreitung hat gegenwärtig noch der Leopard ( Panthera pardus ). Zwar leben in Afrika südlich der Sahara bei weitem die meisten Leoparden, aber es gibt sie in mehreren Unterarten auch in Palästina, in den Bergen am Kaspischen Meer, in Indien und auf Sri Lanka, in Südostasien und in der Form des Amur-Leoparden in Nordostchina und der Mandschurei sowie
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