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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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Schwierigkeiten, nordafrikanische Löwen einzufangen und im Circus Maximus mit Gladiatoren oder mit Stieren kämpfen zu lassen. Auch darauf werde ich beim Einhorn zurückkommen.
    Wie lange sich der Luchs in Griechenland außerhalb der von Menschen nahezu unbesiedelten Gebirge halten konnte, ist nicht bekannt. Große Gefahren gingen anscheinend weder von ihm noch von Bären für das Vieh aus. Einzig die Wölfe stellten eine Bedrohung dar. Um sie abzuwehren, waren seit Jahrhunderten besondere Hunde gezüchtet worden: Hunde von Wolfsgröße oder größer mit so dichtem Fell, dass Wölfe kaum hindurchbeißen konnten. Hunde, cremeweiß wie die Schafe, die nicht auffielen wie das sprichwörtliche schwarze Schaf. Und Hunde, die lernten, die Schafe zusammenzuhalten, ohne sie dabei in Panik zu bringen. Anatolien war ein Zentrum der Zucht dieser Hunde. Jedoch die einzelgängerischeren Ziegen lassen sich damit nicht unter Kontrolle halten. Sie klettern auf Bäume, springen auf Felsen und können sich den Hütehunden in unübersichtlichem Gelände leicht entziehen. Hirten waren daher unverzichtbare Begleiter der Ziegenherden. Sie mussten oft lange Zeit mit den Tieren in den lichten Wäldern leben. Sie waren allein oder bei großen Herden zu wenigen unterwegs, bauten sich ihre einfachen Behausungen und vertrieben sich die Zeit mit Flötenspiel und anderen im gegebenen Rahmen möglichen Vergnügungen. Dazu gehörte auch der Verkehr mit den Tieren. Aus der Sicht der Bürger in den Städten waren die Ziegenhirten so etwas wie ein Mittelding zwischen Tier und Mensch, schwer zu fassen, weil die Hirten die Wälder kannten, und roh in den Sitten, weil ihnen der städtische Umgang fehlte. Dass sie das Flötenspiel beherrschten, verlieh vielen Hirten eine besondere Note: verführerisch einerseits, wild andererseits. Flöte und Bocksfuß wurden ihr Kennzeichen und der damit ausgestattete kleine Waldgott Pan ihr Symbol. Er lockte mit dem Wohlklang seiner Flöte und konnte panische Angst verbreiten.
    Es tat sich viel in den von Pan beherrschten Wäldern. Leda war bei den Hirten, als Zeus sich ihr verkleidet näherte und prompt auch erfolgreich schwängerte. Die Folklore des Klassischen Griechenlands enthält viele Geschichten, die sich im Reiche Pans zugetragen haben. In den meisten geht es um Erotik oder um Schreckliches, das damit zusammenhing. Immer wieder kommt ein Vogel vor, der eine merkwürdige, schwer verständliche Rolle spielt. Sein Name war Jynx .
    Mit ihm hat es eine besondere Bewandtnis. Er galt als Zauber- und Liebesvogel. Sein Gesang ähnelte dem der Querflöte. Theokrit schrieb von ihm in einem Gedicht etwa 250 v.Chr. Die Bezeichnung Jynx ist jedoch doppeldeutig. Der Sage nach war Jynx eine Tochter des Pan. Weil sie Zeus dazu verführt hatte, Io zu lieben, wurde sie von Hera in einen Vogel verwandelt. Dieser diente fortan, auf ein Rädchen gebunden, als Liebeszauber. Jynx wechselte auf diese Weise von der von Pan abstammenden Verführerin zum Gerät. Es war offenbar sehr wirksam, denn Aphrodite, die Göttliche, übergab das Rädchen Jason, der damit die Giftmischerin und Zauberin Medeia dazu brachte, sich ihm hinzugeben. Die Jynx wurde daher auch »Rad der Hekate«, Hexenrad, genannt. Ein solches in Boston, USA, aufbewahrtes besteht aus einem bronzenen (in edlen Ausführungen auch goldenen) Rad mit zwei oder vier Speichen, und einem Band, das schnell abgewickelt das Rad in Drehung versetzte und mit etwas Geschick dazu führte, dass es sich selbst wieder aufspulte. Die Speichen erzeugten ein surrendes Geräusch. Der Vogel Jynx wurde an diesem Rad befestigt. So kam der Liebeszauber zustande.
    Da Linné in seinem System der Natur 1758 den Wendehals ( Jynx torquilla ) so benannte und auch schon vor ihm angenommen worden war, mit dem Jynx hätten die Alten Griechen diesen Vogel gemeint, hielt sich diese Deutung bis heute. Doch Theokrit und andere hatten angeführt, dass dieser Vogel klangvolle, flötenartige Rufe von sich gibt. Seinen Hals kann der Wendehals zwar tatsächlich ungewöhnlich weit drehen, aber das ist nur aus der Nähe zu sehen. Seine Stimme passt allerdings überhaupt nicht. Sie ließe sich eher als ein hämisches Gelächter bezeichnen; klangvoll flötenartig ganz gewiss nicht. Er ruft auch eher am Tage, vor allem nach Regenschauern, und nicht in der Dämmerstunde am Abend, in der sich bei schwindendem Licht die Liebenden treffen. Wenn aber nicht der Wendehals, wer dann? Da der/die Jynx so ganz direkt mit der

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