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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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Wahrscheinlichkeit nach auf solchen Funden. Hinzu kamen andere Befunde. So kann es vorkommen, dass Ziegen, wenn sie von einer Weißer Germer genannten Pflanze fressen und trächtig sind, Missgeburten zur Welt bringen. Denn der Germer, ein Liliengewächs mit dem wissenschaftlichen Namen Veratrum album , enthält entsprechende Gifte. Sie beeinflussen die Entwicklungsvorgänge, ohne direkt zu töten, wenn die aufgenommene Giftmenge dafür nicht ausreicht. Anstelle eines normalen Zickleins kommt dann unter Umständen eines zur Welt, das nur ein Auge mitten auf der Stirn und eine unterentwickelte Schnauze hat. Das Köpfchen kann solcherart entstellt menschenähnlich wirken und für eine Mensch-Tier-Chimäre gehalten werden.
    Solche Missgeburten und Funde fossiler Schädel von Zwergelefanten fügen sich zu Vorstellungen zusammen, die zwar fern der Realität liegen, aber dem Kenntnisstand der Menschen jener Zeiten durchaus angemessen waren. In wesentlichen Aspekten der längerfristigen Veränderungen tasten wir uns auch jetzt erst allmählich an die Vergangenheit heran. So haben Forschungen der letzten Jahrzehnte ergeben, dass es zum Beispiel in der Sahara Zeiten reichlicher Niederschläge gegeben hatte, als die Menschen anfingen, Tiere und Pflanzen zu züchten. Zur Zeit der Alten Reiche der Ägypter war die Sahara ebenso wenig eine großflächige Vollwüste wie auf der anderen Seite des Roten Meeres die Arabische Halbinsel. Die Verhältnisse ähnelten denen in der heutigen Sahel-Zone oder in niederschlagsreichen Perioden sogar den ostafrikanischen Savannen. Kein Wunder also, dass Felsbilder in der zentralen Sahara Nilpferde und Krokodile, also an verhältnismäßig große Gewässer gebundene Tiere, zeigen, für die heutzutage dort und in der Umgebung überhaupt keine Lebensmöglichkeiten gegeben sind.
    Ähnlich verhält es sich mit Asien. Die vorderasiatischen Wüsten breiteten sich aus in den Zeiten, in denen auch die Sahara trockener wurde. Die zentralasiatischen Wüsten entstanden zur selben Zeit. Sie sind, wie die Namib in Südwestafrika, keineswegs »uralt«, sondern erdgeschichtlich gesehen ziemlich junge Gebilde. Wie auch unsere Wälder. Zur Zeit der Antike herrschten zum Teil erheblich andere Verhältnisse als in der Gegenwart. Dies ist im Hinblick auf die Deutung von Fabeltieren unbedingt zu beachten. Denn ohne ausreichende Kenntnis der einstigen Gegebenheiten lässt sich ihre Entstehung nicht verstehen.

Hirten, Hirtenhunde und Pan
    Griechenland war im Altertum bei weitem nicht so ausgedörrt wie gegenwärtig. Es gab fruchtbare Täler, viel mehr Wald und zahlreiche Quellen. Ohne ein produktives Hinterland hätten die Ansiedlungen nicht so große Eigenständigkeit und Macht erlangen können. Die Polis, der Stadtstaat, wurde über Jahrhunderte hinweg vom dazugehörigen Umland ernährt. Die Bürger stellten eine wohlhabende Oberschicht dar, die es sich leisten konnte, wenig oder nichts zu arbeiten, um ihre Familie mit den Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Diese Tätigkeiten hatten Sklaven zu verrichten. Doch auch diese blieben nur dann leistungsfähig, wenn es an Nahrung nicht mangelte. Die Reinigung des Augiasstalles wäre eine Arbeit für Knechte und Sklaven gewesen. Herakles sollte mit dieser Aufgabe gedemütigt werden. Wie viele Köpfe die Rinderherde des Augias auch umfasst haben mochte, es waren deren für die damaligen Verhältnisse so viele, dass der Stall (die Ställe, denn einer hätte gar nicht groß genug sein können) nicht mehr ausgemistet werden konnte. Wie begehrt Rinder, speziell zur Zucht, gewesen waren, geht aus anderen Prüfungen des Herakles hervor, denen er sich zu unterziehen hatte. Viele andere historische Quellen bestätigen die Bedeutung des Rindes. Es war bekanntlich auch einst ein Stier gewesen, der Europa nach Europa, nach Griechenland, getragen hatte.
    Rinder hielten und züchteten die Reichen. Ihr Reichtum begründete sich lange Zeit auf dem Besitz von fruchtbarem Land. Erst mit der Ausweitung des Handels durch die Seefahrt verschoben sich die Gewichte, aber Landbesitz blieb eine wesentliche Größe für die Bedeutung der einzelnen Bürger und für die Macht der regionalen Könige. Die ärmere Bevölkerung musste mit den kleineren Weidetieren zurechtkommen; mit Schafen und Ziegen vor allem, weil diese an den trockeneren Berghängen und in den zumeist lichten Wäldern selbst die für sie verwertbare Nahrung fanden. Ziegen sind extrem genügsam. Ihre Verdauung von Zellulose verläuft so

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