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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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merkte in seinem Text über die Oryx-Antilopen an, »in alten Hochkulturen Vorderasiens wurde leucoryx (also die Weiße Oryx) halbdomestiziert zu Opferzwecken zahlreich gehalten«. Man hatte sie auch »einhörnig« dargestellt, nämlich genau in Seitenansicht, bei der sich beide Hörner wie in meinem Foto überlagern, zumal diese tatsächlich sehr eng stehen und bei der Beisa-Oryx im Extremfall über zwei Meter lang werden können. Bei diesen Antilopen entwickeln die Weibchen, anders als sonst üblich, deutlich längere und kräftigere Hörner als die Böcke. Sie setzen diese als sehr gefährliche, durchaus tödliche Waffe gegen Feinde ein und verteidigen so zumeist erfolgreich ihr Junges. Die Böcke hingegen stechen mit ihren Spießen nicht aufeinander ein. Sie drücken mit ihnen, Kopf an Kopf, seitwärts und messen so ihre Kräfte, zumeist ohne einander Verletzungen zuzufügen. Im Eifer des Gefechts kommt es durchaus gelegentlich vor, dass dabei ein Horn abbricht. So entsteht tatsächlich ein »Einhorn«. Es wäre vorstellbar, dass so eine Oryx, die sich nach dem Verlust eines Horns, das nicht mehr nachwachsen kann, behindert fühlt, ganz besonders gefährlich wurde. Gefährlich, weil diese großen Antilopen, wie oben ausgeführt, in großer Zahl zu Opferzwecken in Gehegen gehalten wurden. Die von der Enge ausgelösten häufigen Kämpfe können dazu geführt haben, dass einhörnige Oryx nicht die seltene Ausnahme waren, sondern vielleicht sogar die Regel. Die Bitte in den Büchern Mose, vor den Einhörnern verschont zu bleiben, wird so durchaus verständlich. Denn diese Antilopen mussten gefüttert und versorgt werden. Mit bloßer menschlicher Körperkraft waren sie wohl kaum in Schach zu halten, wie Widder und Ziegenböcke oder auch Gazellen.
    Die Arabische Oryx qualifiziert sich somit ganz klar am besten als ein Vorbild für das Einhorn. Ihre Spießhörner stehen eng. Sie sind schwach nach hinten gebogen, aber bei weitem nicht so stark wie bei der Säbelhorn-Oryx ( Oryx dammah ) Nordafrikas. Diese Oryx kam westlich des Nils am Südrand der Wüsten der Sahara vor. Auch von ihr gibt es altägyptische Abbildungen, die beweisen, dass sie von Menschen gehalten und geführt wurde. Die nordostafrikanische Beisa-Oryx mit besonders langen, geraden Spießen, die westlich des Roten Meeres lebt, ist mit über 200 Kilogramm Gewicht erheblich größer als die Weiße Oryx und die Säbelhorn-Oryx. Sie vereinigt gleichfalls die wichtigsten Eigenschaften des Einhorns in sich und war den Alten Ägyptern sicherlich auch bekannt. Mit ihr legen sich selbst Löwen normalerweise nicht an. Deshalb können ihre Eigenschaften durchaus auch mit denen der Weißen Oryx vermengt worden sein, als beide aus dem ägyptisch-griechisch-persischen Kulturkreis verschwanden. Persien, von wo aus Ktesias berichtet hatte, lag dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet dieser Oryx nachbarschaftlich nahe. Denn es erstreckte sich damals praktisch über die ganze Arabische Halbinsel, reichte bis Syrien, an den Libanon und an den Rand des Sinai. Die größere Beisa-Oryx Afrikas kam in jenen Zeiten noch an den Rändern des Alten Reiches der Ägypter vor. Vor diesem Hintergrund fügen sich die von Ktesias angegebenen Merkmale in schlüssiger Weise zusammen. Er hatte die Gestalt treffend charakterisiert. Der Körper der Weißen Oryx wirkt pferdeartig. Dies umso mehr, als es im hellenistischen Raum keine andere Antilope gegeben hatte, mit der man sie hätte vergleichen können. Die viel kleineren, in der Gestalt eher rehartigen Gazellen kamen nicht in Frage. Und wie Herbert Hagn ausführte, bedeutet das hebräische re’em tatsächlich Oryx-Antilope. Im Arabischen heißt es rim . Nun ergibt auch das »blaue Auge«, auf das Ktesias hingewiesen hatte, einen Sinn. Im großen dunklen Antilopenauge spiegelt sich der über der Halbwüste zumeist wolkenlos blaue Himmel. Die alte arabische Bezeichnung, die ins Griechische übernommen zu anthelops umgeformt wurde, bedeutet glänzendes, strahlendes oder »blühendes« Auge. Bei der Arabischen Weißen Oryx stehen zudem die wie bei allen Paarhufern und Rinderartigen gespaltenen Hufe so eng beisammen, dass nur aus nächster Nähe zu erkennen ist, ob es sich um den geschlossenen Huf eines Pferdes handelt oder nicht. Pferdeartig sind ihre Bewegungen, sehr schnell ihr Lauf. Bei Gefahr flüchten die Oryx in die lichtgefluteten Weiten, in denen sie verschwinden. Wer wollte sie mit den Mitteln der damaligen Zeit hinaus ins scheinbare

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