Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
oder dass es sich in deiner Kripfen lege? Kannst du es auch mit einem Sail binden, dass es die Furchen mache, oder dass es dir nachegge?« In Isaias 34 wird das Einhorn sogar direkt mit dem starken Ochsen verglichen. Der Prophet Isaias wurde wahrscheinlich im Jahre 765 v.Chr. geboren und lebte und predigte in Jerusalem.
Herbert Hagn, dem ich die Bibelzitate aus der Züricher Bibel von Scheuchzer aus dem Jahre 1731 verdanke, wies darauf hin, dass spätere Fassungen das Einhorn mit Wildstieren und Büffeln ersetzten. Doch auch die Scheuchzer vorliegende Fassung war bereits die Bearbeitung von Bearbeitungen, kein Original. Der hebräische Pentateuch, die fünf Bücher Mose, war in der sogenannten Fassung der Septuaginta um etwa 250 v.Chr. ins Griechische übersetzt worden. Im Auftrag von Papst Damasius fertigte auf dieser Grundlage 383 n.Chr. Hieronymus eine lateinische Fassung, aus der, verbunden mit anderen lateinischen Übersetzungen, die im Mittelalter sogenannte lateinische Volksbibel, die Vulgata, entstand. 1534 übersetzte sie Martin Luther ins Deutsche der damaligen Form. Im Zuge dieser Übersetzungen wurde aus dem ursprünglich hebräischen Ausdruck re’em zunächst griechisch monokeros und rhinokeros , dann das Lateinische unicornu und schließlich Einhorn. Die alte hebräische Form wird uns gleich näher beschäftigen. Denn sie bestätigt die zoologische Analyse, um welches Tier es sich beim Einhorn gehandelt hatte.
Sichten wir dazu weiteres Material. Rüdiger Robert Beer (1972) hat die wohl umfangreichste Zusammenstellung dazu gefertigt. Daraus geht hervor, dass das meiste nachträglich hinzugefügt worden ist. Einige Erläuterungen dazu enthält bereits das Kapitel über das Einhorn in meinem Buch Warum die Menschen sesshaft wurden (2008). Sie lassen sich ganz erheblich erweitern und ergänzen.
Die Angaben von Ktesias entsprechen am ehesten einem konkreten Tier. Aber welchem? Beginnen wir mit der Geographie. Das Einhorn kam in Griechenland nicht vor. Es war auch im weiteren Umfeld Europas, Kleinasiens, Palästinas und Nordafrikas nicht vorhanden. Die Angaben aus Persien und Indien weisen bereits bei Megasthenes Vermischungen auf, die eigentlich nur bedeuten können, dass man dort die echten Einhörner, so es solche gegeben hatte, auch nicht kannte. Diese geographischen Gegebenheiten grenzen das mögliche Vorkommen auf die Arabische Halbinsel und Afrika ein. Tibet und Innerasien lassen sich ausschließen, da die Versuche, das Einhorn dort dingfest zu machen, aus viel späterer Zeit stammen. Es gibt auch keine konkreten Hinweise darauf, dass das Einhorn im Gebirge vorkommt oder dichte Wälder bewohnt. Dass man es nicht fangen kann, drückt indirekt aus, dass man es nicht in Engpässe treiben und gegebenenfalls mit Netzen erbeuten kann. Weites, offenes Land dürfte hingegen als Lebensraum geeignet gewesen sein. Es war »weiß«, was sehr hell bedeutet, denn das reine Weiß ist erst seit den mittelalterlichen Darstellungen des Einhorns symbolhaft für die Reinheit zu verstehen. Weiß meint bei einem frei lebenden Tier wahrscheinlich nur hell, vergleichbar den Weißen Bergen Kretas.
Erst in der frühen Neuzeit kehrte Konrad Gesner zu den Quellen zurück. In seinem Thierbuch bildete er 1669 ein Pferd mit gespaltenen Hufen ab, das auf der Stirn ein gedrehtes Horn trägt. Nun gewann die zoologische Betrachtung die Oberhand. Sie gipfelte in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Zuordnungen, wie sie etwa Johannes Lennis, Professor am Josephinum in Hildesheim, in seiner Synopsis der drei Naturreiche , einem Handbuch für höhere Lehranstalten und für Alle, welche sich wissenschaftlich mit Naturgeschichte beschäftigen wollen von 1844 vorgenommen hatte. Er schreibt darin: »Dem Residenten der ostindischen Compagnie zu Nepaul, Herrn Hogdsen, gelang es von einem gestorbenen Einhorn aus der Menagerie des Rajah von Nepaul die vollständige Haut mit dem noch auf dem Schädel sitzenden Horne zu erhalten, welche er an die wissenschaftliche Gesellschaft von Calcutta einsandte und dadurch alle Zweifel löste. Das Einhorn lebt in der Provinz Dzeng in Tibet, ist scheu u. wild, röthlich, unten weißlich u. hat nur e i n sehr spitzes, schwarzes, aufrechtes Horn auf der Stirn (wie es im Wappen der Engländer abgebildet wird) u. den schlanken Bau der Antilopen, weshalb man es Antilope monoceros nannte.« Hodgsen verließ sich, wie einstens schon Ktesias, auf ihm zugetragene Schilderungen und zweifelhafte Felle bzw. Hörner.
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