Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
die Tiere der Tierkreiszeichen passen. Der Widder als »ungestümer Anfang« des neuen Jahres zur Frühjahrstagundnachtgleiche passt dazu wie auch der kraftvoll folgende Stier, der auf die Weide mit dem frischen Grün hinaustrabt. Zur Zeit, in der sich das Jahr wieder zu neigen begonnen hat, geht der Krebs rückwärts. Die Fülle des Sommers drückt sich im Kraftakt des Löwen aus, dessen Frucht ein neuer Widder werden kann. Mit Beginn der Winterregen erwachen die Skorpione aus der sommerlichen Zurückgezogenheit, durch die sie sich der Hitze entziehen. Und die Steinböcke kämpfen im Winter um die Weibchen. Die Fische lassen sich in die Zeit einfügen, in der das Eis im Vorfrühling taut und sie wieder munter werden. So kann man fast mühelos eine »Zoologie« formulieren, die passt. Ob das so sein muss, sei dahingestellt. Denn wie schon betont, ging es beim Zodiak gar nicht um die Tiere, sondern um die Menschen, ihre Geburt und ihre Zukunft. Werfen wir daher noch einen Blick auf die oben zusammengestellten sieben Punkte: Das Geburtsdatum eines Menschen wird in den rhythmischen Kreislauf des Jahres eingeordnet. Demzufolge fühlen sich die gebärenden Frauen unmittelbar betroffen, während sich die Männer nur im Bedarfsfall danach richten zu müssen glaubten. Dazu befragten sie Astrologen. Nicht geklärt sind damit aber die ersten vier Punkte. Warum entstand dieses auf die Sterne bezogene System im Großraum des Fruchtbaren Halbmondes in der Zeit der ersten Hochkulturen zur Bestimmung des Jahreslaufes? Und warum genügten dazu nicht einzelne Sterne?
Ein kurzer Ausblick auf die chinesischen Tierkreiszeichen vermittelt Hinweise darauf, was hinter dieser jahreszyklischen Einteilung gestanden haben mag. Die chinesischen Tierkreiszeichen ersetzen die vorderasiatisch-westlichen nicht, sondern sie ergänzen den Jahreskreis mit dem um das Zehnfache verlängerten Zyklus von zwölf Jahren. Das ist nicht zufällig, denn die Lebensbedingungen folgen tatsächlich in den Breiten mit gemäßigtem und kaltem Klima einem solchen Zyklus. Die Aktivität der Sonne gibt ihn vor. In zehn- bis zwölfjährigem Abstand bringt sie besonders warme, meistens für die Menschen recht gute Jahre. Dann ist ihre Aktivität, ausgedrückt in der Häufigkeit der Sonnenflecken, hoch. »Schlechte Jahre«, kalte und verregnete Sommer und oft auch sehr kalte Winter kommen, wenn sie ein Minimum erreicht. Zwischenstufen liegen auf- wie absteigend dazwischen. Ganz grob könnte man den Ablauf mit den Jahreszeiten im Zwölf-Monate-System des Jahres vergleichen.
In diesem geht es für uns um eine präzisere Unterteilung des Jahres, in jenem um eine Abschätzung der Entwicklung der Jahre über mehr als ein Jahrzehnt hinaus. Zuordnungen des Geschehens und Erwartung des Kommenden erhalten so ihre Ordnung. Das macht Gegenwart und (nahe) Zukunft beherrschbar. Astronomie und Astrologie waren daher ursprünglich eine Einheit. Der Raumbezug auf den Fruchtbaren Halbmond und seine weitere Umgebung, in Indien auf die nord- und nordwestindischen Flusskulturen, in China auf das zentrale Agrarland zwischen Hwangho und Jangtse und auf der anderen Seite der Erde in den Kulturen der Inkas, Mayas und Azteken mit ihren Vorläufern ging es dabei übereinstimmend um die Landbewirtschaftung. Es war vom Nil bis zum Indus entscheidend, rechtzeitig feststellen zu können, wann die Flut kommt, die die Felder bewässern sollte. Nicht anders war es an der peruanischen Westseite der Anden in der Nasca-Kultur. Und bezeichnend ist, dass der Ertrag der Kulturen jeweils davon abhing, dass das Wasser rechtzeitig und in der nötigen Menge aus anderen, fern liegenden und nicht direkt zugänglichen Regionen geflossen kam. Ich hatte aus gutem Grund betont, dass der Fruchtbare Halbmond seiner geographischen Grundstruktur nach eine große Schüssel ist. Das Wasser fließt von den Rändern her ins Zentrum bzw. im Fall des Nils an das dem Großraum zuzurechnende Mittelmeer.
In dieser geographischen Lage zwischen den Subtropen und den gemäßigten Breiten gab und gibt es sehr viel mehr klare Nächte als im wolken- und niederschlagsreichen Mitteleuropa. Das Sommerhalbjahr veränderte sich nur allmählich; die Veränderung der Tageslänge verlief (und verläuft) aufgrund der Nähe zum Wendekreis weit weniger auffällig als in nördlicheren Breiten. Je weiter vom Äquator entfernt, desto größer werden die jahreszeitlichen Längenunterschiede von Tag und Nacht. In Mitteleuropa kann das Wetter noch so
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