Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
mehr Stunden Helligkeit. Entsprechend länger dauert zur Mittwinterzeit die Nacht. Exakt am Pol gibt es genau ein halbes Jahr Tag und ein halbes Jahr Nacht.
Diese kurze Zusammenfassung der beiden bzw. drei großen Zeitrhythmen ermöglicht nun einen anderen Blick auf den Tierkreis. Drei Rhythmen hat die Frau zu bewältigen, weil zum Tages- und Jahresrhythmus ihr Monatszyklus hinzukommt. Dieser fehlt beim Mann. Dies könnte ein erster Hinweis darauf sein, dass Frauen deutlich stärker und emotionaler als Männer auf das jahreszyklische Auf und Ab der Tageslänge reagieren. Sie müssen ihren Monatszyklus damit in Übereinstimmung bringen. Dieser hat einen »aufsteigenden« und einen »absteigenden« Teil, wobei sich die beteiligten Hormonkonzentrationen verändern. In der Mitte des Zyklus findet normalerweise der Eisprung statt. Die zwei bis drei Tage davor und danach ergeben das befruchtungsfähige Zeitfenster im Zyklus. Die Blutung als Abschluss nimmt den Organismus der Frau in Anspruch. Vergleichbares beim Mann gibt es wiederum nicht. Sein Organismus kann gleichsam gemächlich durch das Jahr laufen, ohne das Auf und Ab des Menstruationszyklus. Dieser versetzt die Frau in unterschiedliche Stimmungen. Sie »verstehen« damit gefühlsmäßig die Untergliederung der Tierkreiszeichen in den Aszendenten, den Anstieg, und den Deszendenten, den Abstieg. Auch hierauf näher einzugehen erübrigt sich, da es nicht um astrologische Deutungen oder Vorhersagen geht, sondern um den möglicherweise biologischen Hintergrund und seine Bedeutung. Denn Licht ist nicht nur ein äußerer Zeitgeber über seine Dauer, sondern es wirkt auf den Organismus über seine Stärke oder sein Fehlen ein. So verursacht Mangel an Licht mit UV-B Rachitis, weil dieses Vitamin in der Haut durch Einwirkung des »weichen« Ultraviolettlichtes gebildet wird. Werden Kinder in die sonnenarmen Monate hineingeboren und erhalten sie nicht frühzeitig genug Ausgleich für den Mangel durch Nahrungsmittel, die das Vitamin enthalten, werden ihre Knochen nicht stabil genug. Im Hohen Norden mit den schier endlos langen Winternächten und den kurzen Tagen sind zur unpassenden Zeit geborene Kinder davon besonders betroffen. Fischleber (›Lebertran‹) ersetzt den Mangel. Muttermilch enthält (zu) wenig Vitamin D, wenn die Mutter keine entsprechend vitaminreiche Nahrung zu sich nehmen kann. Das gilt auch, wenngleich nicht so ausgeprägt für Vitamin C in der Nahrung und für die verschiedenen Formen von Vitamin A. Überhaupt hängt sehr viel in der nachgeburtlichen Entwicklung des Kindes vom Ernährungszustand der werdenden und stillenden Mutter ab und davon, welche Art von weiterer Nahrung als Muttermilch das Baby bekommen kann. Wir können uns das in unserer heutigen Zeit des Überflusses und der praktisch das ganze Jahr über allgemeinen Verfügbarkeit von künstlicher Babymilch und vitaminreicher Nahrung kaum vorstellen, wie stark in früheren Zeiten die Menschen vom Jahresrhythmus abhingen.
Hieraus folgt, dass die Geburtszeit im Jahr – einen Zeitpunkt festlegen zu wollen wäre in der Tat zu übertrieben – früher ganz wesentlich für das Gedeihen des Kindes gewesen sein muss. Auch Herrscher, denen von ihren Untergebenen alles Nötige zugetragen wurde, blieben der Jahreszeit und ihrer Entwicklung verhaftet. Es machte sicherlich einen erheblichen Unterschied, ob ein Kind zum Frühjahrsbeginn, in der Zeit des Widders, zur Welt kam und in den ersten Wochen und Monaten das »aufsteigende« Jahr vor sich hatte oder im Spätherbst mit den beginnenden Regenfällen und schwacher Sonne. Ob es zur Mittsommerzeit in seinem sich ausbildenden und festigenden Jahresrhythmus sehr langen Tagen ohne erkennbare Zu- oder Abnahmetendenz der Helligkeit ausgesetzt war oder ob es als spät im Jahr Geborenes hineinkam in die rasche Zunahme der Tageslänge nach der mittwinterlichen Kurztageszeit, hat sicherlich Einfluss auf die weitere Entwicklung genommen. Die Wirkungen pflanzen sich, da rhythmisch wiederkehrend, kontinuierlich fort. Beginnt das Kleinkind nach einem Jahr mit dem Laufen, macht es wiederum einen Unterschied, ob dieses so wichtige Geschehen in sich aufbauende Langtage oder in sich verkürzende Kurztage hineinfällt. Und so fort. Die umfassende rhythmische Organisation des Menschen muss sich mit dem Zeitmuster seiner Umgebung auseinandersetzen und sich daran anpassen. Wie schwer das fallen kann, wissen wir von den Erfahrungen mit raschen Zeitumstellungen nach
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