Einige werden überleben
sagte Berendtsen. „Du hast ihnen verkündet, daß sie von diesem Tag an Waffen tragen dürften; daß sie ebenbürtig seien, gleich mit allen anderen. Daß in Zukunft kein Mensch dem anderen zu sagen habe, was ihm gehöre und was nicht, daß jeder unverletzlich sei und keiner Herr über den anderen.“
Garvin nickte automatisch. Erst später wurde ihm klar, daß dazu keine Notwendigkeit bestand.
„Also gut, Bob“, sagte Berendtsen leise, als unterhielten sie sich wieder am Eßtisch, „wer hat dir denn das Recht gegeben, dieses Recht zu verleihen?“
In Garvins Augen blitzte etwas.
„Wir haben einst Waffen getragen. Jeder einzelne von uns. Wir waren dazu gezwungen. Schritt für Schritt erreichten wir es, daß wir es nicht mehr mußten. Allen Theorien zum Trotz trugen manche von uns ihre Waffen mit Unbehagen und waren froh, als es auf den Straßen keine Heckenschützen mehr gab und sie diese Waffen niederlegen konnten. Manche von uns waren froh, sich friedlichen Beschäftigungen zuwenden zu können – wie zum Beispiel der Politik.“
Trotz der Zeit und des Ortes kam ein kurzes Gelächter auf, das Garvin auf die Nerven ging, bis es wieder erstarb.
Berendtsen lächelte dünn zu Garvin hoch. „Du bist heute an deinem Platz, weil du keine Waffen getragen hast – weil es eine Organisation von freien Männern gab, die bereit waren, die Waffen wieder aufzunehmen, falls dies nötig sein sollte, aber zur gleichen Zeit froh, daß sie sie niedergelegt hatten. Sie alle arbeiteten in einer Zivilisation zusammen, die die Zeit dazu hatte, Individuen wie dich zu unterstützen. Wer Waffen trägt, ist sein eigener Verwalter. Wer das nicht tut, benötigt andere, die es für ihn erledigen.
Hier stehst du also, ein Verwalter, den eine Organisation gewählt hat, und du hast den Leuten ihre Waffen zurückgegeben. Du hast sie ihnen praktisch aufgezwungen, sie an den Straßenecken ausgegeben. Aber – ich frage es noch einmal – wer hat dir das Recht dazu verliehen?“
Berendtsen lächelte sarkastisch. „Es sieht so aus, als hätte ich es getan. Ich habe die Organisation aufgebaut, die dich unterstützt. Ich habe sie aufgebaut, ohne zu wissen, welche Gesellschaft sich aus ihr entwickeln würde. Ich habe niemals auch nur einen Augenblick lang angenommen, daß ein einzelner Mensch so klug, so vorausschauend sei, daß er anderen sein Konzept einer idealen Gesellschaft aufzwingen könne. Ich habe einfach nur eine Gemeinschaft aufgebaut und ihre Struktur dem Willen des Volkes überlassen.“
Er sah Garvin fest in die Augen. „Du hast den Menschen Gewehre gegeben und geglaubt, du gäbest ihnen Waffen. Aber die Menschen verfügen über tödlichere Waffen, als irgendein Waffenschmied sie entwerfen könnte.
Die Menschen wollen sicher sein und in Bequemlichkeit leben. Wenn diese Sicherheit und Bequemlichkeit durch Gewehre erzielt werden kann, dann werden sie diese Gewehre aufnehmen – aus eigenem Antrieb, nach ihrem Bedarf. Und wenn Sicherheit und Bequemlichkeit in Büchereien zu finden sind, dann verrosten die Gewehre.“
Die ruhigen, besorgten und doch sicheren Augen sahen tief in das Innerste Garvins hinein.
„Du glaubst, daß Männer wie du das Volk regieren. Zweifellos billigst du diese Qualität auch mir zu. Du irrst dich. Wir existieren – und wir finden unseren Weg in jene schlechten Geschichtsbücher, die vom falschen Standpunkt aus geschrieben sind –, weil das Volk, wie lange oder wie kurz auch immer, eine Zeitlang glaubt, bei uns sei Ruhe und Bequemlichkeit zu finden.“
Er lachte kurz auf und kam zum Ende. „Das Volk täuscht sich oft. Aber es berichtigt seine Irrtümer.“
Garvin fühlte jedes Auge in dem Raum auf seiner Person haften. Er war wahrscheinlich etwas blaß geworden. Aber das war bei der Belastung, der er durch das, was er zu tun hatte, ausgesetzt war, wohl nur natürlich.
„Theodor Berendtsen, du bist des Hochverrats überführt. Die Bürger dieser Republik sind sich deiner Verbrechen bewußt. Wir verurteilen dich dazu, einer Beschäftigung deiner Wahl nachzugehen, ohne eine Waffe zu tragen.“
Berendtsen neigte seinen Kopf. Garvin bemerkte zum erstenmal und zu seiner Verblüffung, daß er viel älter war, als er oberflächlich betrachtet aussah – daß sein Bauch ein wenig dicker geworden war und daß auf seinem Gesicht vollständige Erschöpfung geschrieben stand.
Dann sah Berendtsen zum letztenmal auf, und Robert Garvin erkannte den tiefer eingegrabenen Ausdruck auf seinem Gesicht, der
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