Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einige werden überleben

Einige werden überleben

Titel: Einige werden überleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Algis Budrys
Vom Netzwerk:
hatte er sich nicht nur nicht wie ein Gentleman benommen, sondern ihn auch noch lächerlich gemacht, weil er ein anderes Verhalten erwartet hatte. Der Mann hatte damit Cottrell und seine Familie beleidigt und dazu seine eigene Tochter in den Schmutz gezogen. Von seinen Schwägerinnen hatte er in einer Art gesprochen, die eine Abreibung mit dem Patronengurt durch jedes männliche Familienmitglied verdient hätte, wenn sie herauskäme.
    Trotz alledem blieb die Tatsache bestehen, daß Cottrell sich einen ernsthaften Verstoß zuschulden kommen lassen hatte, ganz gleich, ob Mr. Holland ein Gentleman oder Holland keiner war. Und nach der Ansicht von Cottrell und jedem anderen Menschen war diese Sache, die eine quälende geheime Schande war, würde sie erst öffentlich, katastrophal und ekelhaft, ein Schrecken.
    Da nun Holland sich einmal geweigert hatte, das Problem in einer Weise zu bereinigen, wie es jeder andere ohne Zögern getan hätte, stand Cottrell nun da und mußte sich gefallen lassen, daß dieses Problem an seinem Gehirn nagte und ihn zu Zeiten in besinnungslose Wut versetzte, in die sich kürzere Ausbrüche ruhigerer, aber tödlicherer Gefühle von Schande und Reue mischten.
    Schließlich, nachdem er das gesamte Erdgeschoß inspiziert hatte, ging Cottrell geräuschlos zum Wohnbereich hinunter. Er war sich über das Ausmaß seiner Schuld und daher auch der Schande vollständig im unklaren. Er wußte, daß er nicht schlafen würde, wie lange er auch im Bett liegen mochte – und er bemühte sich, den Teil seines Bewußtseins niederzukämpfen, der ihm das Bild Barbara Hollands heraufbeschwor.
    Er kämpfte – aber er verlor. Das Bild, an das er sich erinnerte, war so lebendig wie die anderen, mit denen er es verglich. Er begann mit dem ersten, das fünf Jahre zurücklag, als er im Alter von einundzwanzig Jahren von einer Wachübung zurückkam und an ihrem Fenster vorbeiging. Obwohl er sie fast jeden Tag in der Post oder im Laden sah, wurden diese speziellen Bilder nicht durch die kühle und schickliche Distanz verdunkelt, mit der sie sich umgab, wenn sie nicht – er zuckte zusammen – allein war.
    Wiederum erstand vor ihm das gesamte Problem von Barbaras Vater. Der Mann war während der wilden Unmoral und den lässigen Lebensumständen der Dreckigen Jahre aufgewachsen. Er konnte offensichtlich nichts Schlimmes an dem finden, was Cottrell getan hatte. Er war zwar vernünftig genug, niemandem etwas davon zu erzählen, dafür sei dem Himmel Dank, aber wenn er auf seine tölpelhafte Weise versuchen sollte, „euch beiden jungen Leute zusammenzubringen“ – oder wie auch immer er es nennen würde –, was würde er dann Barbara erzählen?
    Es dämmerte, und Cottrell begrüßte das Ende der Nacht.
     
    Als Familienoberhaupt seit dem Tod, den sein Vater vor zwei Jahren in einer Integritätsaffäre gefunden hatte – er war selbstverständlich der verletzte Teil gewesen –, war es die Pflicht Cottrells, jeden Tag jene Aktivitäten der Familie zu planen, die sich möglicherweise von der normalen Routine des Hofs unterscheiden könnten. Heute, da die Frühlingsarbeit getan und die Aufgaben, die der Sommer mit sich brachte, noch so leicht waren, daß sie nicht der Rede wert waren, wußte er nicht so recht, was er machen sollte, war aber froh, daß er sich mit einem Problem auseinandersetzen konnte, dessen Bewältigung er gelernt hatte.
    Nachdem er aber eine Stunde lang versucht hatte, sich zu konzentrieren, sah er sich gezwungen, etwas zu wählen, das, rückschauend betrachtet, sein Vater in ähnlichen Situationen ebenfalls angewandt hatte. Wenn es sonst nichts zu tun gab, blieb immer noch die Übung.
    Aus Rücksicht auf das Alter seiner Großmutter wartete er bis zwei Minuten vor acht, bis er den Alarm auslöste. Selbst der heftige Schlag, den die Läden hervorbrachten, als sie an ihren Platz in der Panzerung der Außenwand herabsausten, selbst das plötzliche Aufheulen des Generators, als die Radarantennen aus ihrem Halbschlaf zu heftig kreisendem Leben erwachten, selbst die kurzen Feuerstöße, die die Kinder im Haus zur Probe aus ihren MGs abgaben, selbst all dies reichte nicht aus, um das Feuer in seiner Seele zu löschen.
    Die Übung dauerte bis zehn Uhr. Zu dieser Zeit war es offensichtlich, daß die Verteidigungsanlagen des Hauses alles das ausführten, wofür sie konstruiert waren, und daß die Mitglieder des Haushalts ihre Pflichten aufs beste kannten. Selbst das legendäre Geschick, das seine Großmutter mit

Weitere Kostenlose Bücher