Einkehr zum toedlichen Frieden
bleiben
soll. Oder muss. Langer scheint davon auszugehen, dass ich mich auf der Kehr
niederlassen werde. Wieso sollte das jemand tun, der auf der ganzen Welt zu
Hause ist? Na ja, zu Hause …
Immerhin scheine ich hier jetzt Grundbesitz zu haben. Aber was haben
mir mein Vater und mein Halbbruder außer diesem verkommenen Hof hinterlassen?
Wie viel ist ein Grundstück in der Eifel wert? Und was soll ich hier tun, wenn
ich mal diesen unmöglichen Gedanken des Bleibens weiterspinne?
Ich gehöre nicht zu den Journalisten, die unbedingt ein Buch
schreiben wollen. Damit wenigstens ein einziges Mal ihre Worte nicht am
nächsten Tag beim Trödler als Verpackung recycelt werden. In meinem Alter werde
ich in meinem Beruf jedenfalls keine Arbeit mehr finden können. Falls mir ein
belgisches Gericht meine Zukunftsplanung nicht abnimmt, werde ich mir etwas
einfallen lassen müssen.
Ich nehme die Filmrolle aus der Butterdose und werfe sie in den
Müll. Gleich darauf klaube ich sie wieder heraus. Ein altmodischer Rollfilm. Er
scheint belichtet zu sein. Warum liegt er in der Butterdose? Ich stecke ihn in
meine Handtasche. Könnte ja sein, dass ich etwas Interessantes darauf entdecke,
wenn ich ihn entwickeln lasse. Im Kühlschrank hat die Polizei offensichtlich
nicht nach Beweismitteln gefahndet. Dabei weiß doch jeder Krimileser, dass
Belastendes gern tiefgekühlt wird.
Ein Auto hält vor dem Haus. Ich blicke hinaus, sehe einen weißen
Jeep mit blauen Streifen und unterdrücke ein Stöhnen, als Marcel Langer
aussteigt. Der Hund springt fröhlich neben ihm her, während er mit zwei großen
Plastiktüten zur Tür stiefelt.
»Eingekauft?«, frage ich verwundert, als ich ihm die Tür öffne, »am
heiligen Sonntag?«
»In Belgien schon«, erwidert er und schiebt sich an mir vorbei in
die Küche. »Die Deutschen lieben das. Boykottieren damit ihre engstirnigen
Ladenöffnungszeiten. Das hätten Sie eben sehen sollen: vier Reisebusse aus NRW auf dem Parkplatz. Kaffeefahrten.
Ganz legal. Und nach dem Einkaufen gehen die Frauen in die Puppen-Ausstellung
und die Krippana, das ist fast so gut wie in die Kirche und etwas
unterhaltsamer. Und die Männer ziehen in die Eisenbahnausstellung daneben. Das
alles zusammen ergibt unseren berühmten Ardenner Cultur Boulevard. Wo ich
normalerweise auch frühstücke.«
Er nickt anerkennend zum offenen Kühlschrank hin. »Mit Essig
auswaschen«, rät er.
»Weiß ich selber«, fahre ich ihn an.
»Entschuldigung. Soll ich uns ein Frühstück machen?«
»Ich esse nicht gern, was andere zubereiten!«
»Dann machen Sie eben das Frühstück. Aha …« Er steht am Fenster und
deutet hinaus. »Gudrun Arndt holt sich offensichtlich ihren Kondolenzbesuch bei
Mertes selbst ab!«
Neugierig stelle ich mich neben ihn.
Eine hochgewachsene knochige Frau mit langem fahlem,
zusammengebundenem Blondhaar in einem schulterbetonten schwarzen Rüschenkleid
aus der Mitte der Achtziger spricht mit Alf Mertes vor dem verklinkerten Haus
gegenüber. Der Mann legt ihr erst eine Hand auf die Schulter, schlingt dann die
andere um ihren Nacken und drückt die unmodische Erscheinung fest an sich.
»Seltsam«, sagt Langer.
»Was?«, frage ich.
»Diese Gefühlsäußerung.«
»Die Frau hat gerade ihren Vater verloren!«, entgegne ich empört,
»da wird sie der Nachbar doch wohl trösten dürfen!«
»Wir sind in der Eifel nicht so … körperlich.«
»Eine erstaunliche Bemerkung für den Jüngsten von zwölf Geschwistern.«
Er wendet sich mir lächelnd zu. »Sie erinnern sich also an unser
Gespräch von gestern!«
»An jedes Wort. Die Frage ist, ob Sie sich
noch an alles erinnern«, erwidere ich leichthin, aber mit klopfendem Herzen. Er
setzt Wasser auf und beginnt eine Menge Kaffee in den Filter der Zweiliterkanne
zu schaufeln.
»Wollen Sie sich eine Koffeinvergiftung zuziehen?«
»Nein, aber ich denke, wir sollten Fine Mertes und Gudrun Arndt auch
Kaffee anbieten.«
»Sie wollen die beiden doch nicht etwa rüberbitten?«, frage ich
entsetzt.
»Nicht nötig, die werden sich schon selbst einladen«, erwidert er.
»Fine Mertes wird es sich nicht entgehen lassen, Gudrun Arndt vorzuführen, dass
sie sich bereits bestens mit der Schwester ihres Liebhabers versteht.«
Diesen Teil des Gesprächs mit Fine Mertes habe ich ihm also auch
anvertraut.
Schon klopft es am Eingang. Ich reiße die Tür auf.
»Es tut mir so leid, Gudrun«, sage ich, bevor Fine den Mund öffnen
kann, und reiche der mir etwa Gleichaltrigen die Hand.
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