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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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werde sehr bald lauter
Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen und Angelegenheiten regeln
müssen. Begriffe wie Beerdigung, Nachlassgericht, Gentest, Umzug, Familie,
Hund, Bank, Giftgas, Berliner Wohnung, Kanarienvogel, Bunker, Wolfgangsee
wirbeln mir durch den Kopf. Aber überlagert wird die ganze Melange von dem
scheußlichen Wörtchen Mord.
    Fast alles hängt davon ab, was die Pathologen herausfinden. Bei Gerd und bei Werner Arndt.
    Es verstärkt sich das sehr ungute Gefühl, dass Gudruns Vater nicht
einfach verunglückt ist, sondern dass irgendjemand den Alten loswerden wollte.
Meine Gedankengänge führen mich auf immer abenteuerlichere Pfade. Alf Mertes
hatte guten Grund, Werner Arndt zu hassen, wenn dieser Mann schuld am Tod
seines Bruders und dem Verlust seines Beines war. Nach dem Krieg war Alf Mertes
ein Kind gewesen. Wieso hätte Arndt ihn und seinen Bruder auf vermintes Gebiet
scheuchen sollen?
    Plötzlich fällt mir wieder etwas ein, was mir Langer in dieser
whiskynassen Nacht erzählt hat: Wie nach Kriegsende erwachsene Deutsche
strafunmündige Kinder zum Schmuggeln abgerichtet und über die Grenze geschickt
hatten. Ganze Banden sollen das gewesen sein.
    Oder vielleicht gehörte Gudruns Vater Werner auch zu denjenigen, die
jüdischen Flüchtlingen große Summen abgenommen haben, um sie über die Grenze zu
schaffen. Vielleicht ist mein Bruder im Zuge seiner Recherche dahintergekommen,
und Arndt hat ihn um die Ecke gebracht, weil Gerd seine Erkenntnisse öffentlich
machen wollte. Hat Gerd den Werner Arndt erpresst? Vielleicht hat sich mein
Bruder mit Alf Mertes verbündet, um Arndt zu schaden. Was steht nur auf diesem
ominösen Zettel? Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Nur eins erscheint mir
sicher: Die beiden hätten bestimmt nicht schriftlich festgehalten, Arndt in den
Wolfgangsee zu stoßen.
    Für Alf Mertes gab es einen weiteren Grund, Werner Arndt zu hassen.
Fine hat mehr als nur angedeutet, wie erbarmungslos Gudruns Vater einst hinter
ihr her gewesen war. Kein Mädchen hätte er »in Ruhe« gelassen. Könnte durchaus
ein Euphemismus sein. Vielleicht hatte er einst Mädchen wie Fine oder meiner
Mutter Gewalt angetan. Oder beiden. Und sich dann ihr Schweigen mit Geld
erkauft. Vielleicht hat er meine Mutter mit einer ordentlichen Summe versehen,
damit sie sich nach Berlin absetzt und da mich, das Kind der Schande, bekommt.
Er war einmal sehr reich, der Großgrundbesitzer von der Kehr, hatte Fine höhnisch
bemerkt. Um einen solchen Besitz zu verlieren, hätte er schon mehr Mädchen
ausgezahlt haben müssen, als hier wohnten! Vielleicht hat er sich irgendwo eine
anspruchsvolle Geliebte gehalten oder Lustreisen unternommen, die ihm kein
Konzern spendiert hat. Oder beides und noch viel mehr.
    Von Langer weiß ich, dass auf der Kehr früher nur arme Leute
wohnten, in einer rauen, unwirtlichen Landschaft, in der die Saison für
ertragreichen Anbau viel zu kurz war. Ein von beiden Weltkriegen gezeichnetes
und mehrfach umkämpftes Gebiet; hier verlief der Westwall. Davon zeugen heute
noch die Höckerlinie – was immer das ist – und jede Menge Bunker. In einem ist
Karl Christensens Ehefrau Maria umgekommen, die Schwester von Werner Arndt.
    Es gelingt mir nicht, den Gedanken an jene Frau zu verdrängen, die
dem Glück meiner Mutter offenbar im Weg gestanden hatte. Ich
sage ja nicht, deine Mutter hat dat arme Maria in dat Betonloch jeschubst … Wenn überhaupt geschubst wurde, erscheint es mir viel wahrscheinlicher, dass
Karl Christensen das Schubsen übernommen hatte, als seine Frau zum Pilzesammeln
auszog. Er hat Anna ja aus der Ferne immer noch angehimmelt, während sie von
ihm nichts mehr wissen wollte. Ist sie deshalb abgehauen, weil sie ihr Glück
nicht auf einem Mord aufbauen wollte?
    Vielleicht ist Werner Arndt dahintergekommen und hat Karl
Christensen erpresst? Und Gerd hat das herausbekommen? Wer weiß, was für
Rechnungen aus früheren Jahren noch offenstehen! Jagdszenen aus der Westeifel.
    Ich stelle das Grübeln ein. Alle diese Theorien führen mich nicht
weiter. Ich brauche endlich Fakten. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass
in mir jede Menge mörderischer Gene schlummern. Welch eine Verwandtschaft!
Meine Mutter hat gut daran getan, sie mir vorzuenthalten. Ich hätte nie herkommen
dürfen.
    Das Gespräch mit Gudrun wird sicherlich einiges klären. Ich bin hoch
gespannt und ziehe mich dreimal um, bis ich mich schließlich für ein schlichtes
dunkles Sommerkleid mit kurzen

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