Einkehr zum toedlichen Frieden
dem
eigenen Grundstück ergehen. Das reicht bis weit nach Belgien hinein und ist
durch einen an vielen Stellen eingerissenen Zaun abgesteckt. Ich gehe an dem
Gerümpel vorbei, das wir als Sperrmüll an der Hauswand gestapelt haben, öffne
eine verwitterte Holzpforte, lasse Linus hindurchschießen und sehe sofort eine
Ecke, die früher ein Küchengarten gewesen sein mag. Zu meiner Freude entdecke
ich zwischen hohen Gräsern Schnittlauch, Thymian, Salbei, wilde Minze und die
Maggi-Pflanze Liebstöckl. Ich brauche dringend ein Botanikbuch, um das andere
Grünzeug bestimmen zu können, von dem kümmerliche Überreste zu erkennen sind.
Neben dem Schlafzimmerfenster gibt es einen schmalen hölzernen Anbau,
der durch eine schief in den Angeln hängende Tür von außen zugänglich ist. Als
ich an der Tür ziehe, fällt sie heraus und poltert mir vor die Füße.
Aufgescheucht huscht irgendein kleines braunfelliges Tier heraus und
rast über die Wiese. Linus hinterher. Ich lasse ihm seinen Spaß. Von hier aus
kann er nicht so ohne Weiteres auf die Straße entfleuchen.
Es kommt mir ein grandioser Gedanke: Wenn ich den Zaun flicken
lasse, brauche ich überhaupt nicht mehr mit dem Hund zu gehen.
Im Schuppen entdecke ich eine Unmenge verrosteter Gartengeräte und
anderes durch die Zeitläufe unbrauchbar gewordenes Werkzeug. Auf einem Regal
sind mehrere gestapelte Holzkisten gelagert, und dahinter erkenne ich ein
Fenster in der Hauswand. Also hat auch Gerds Arbeitskammer irgendwann einmal
Tageslicht gekannt. Seltsam, dass das Fenster zugebaut worden ist. Ich nehme
mir vor, den Schuppen abzureißen und das Bücherregal vor dem Fenster des
kleinen Zimmers wegzuräumen. Auch wenn ich mich selbst nicht zum Bleiben
entscheiden sollte, könnte ich das Haus so sicher besser verkaufen.
Abgerissen werden müsste auch das einstige Stallgebäude hinter dem
Haus. Die Holzkonstruktion mit dem halb eingefallenen Dach wirkt so marode,
dass ich es nicht wage, sie zu betreten. Ich luge nur durch das offene Tor in
einen großen leeren Raum, in dem früher wohl Vieh untergebracht und Heu
gelagert wurde. Wenigstens liegt da keine Leiche.
Das ganze Anwesen sieht nicht aus, als hätte Karl Christensen im
Wohlstand gelebt. Ich erschrecke: Was, wenn er oder mein Bruder mir Schulden
hinterlassen haben? Mit meinem Verhalten habe ich das Erbe de facto ja schon
angenommen. Marcel Langer hätte mich warnen müssen. Er ist schließlich der
belgische Beamte! Stattdessen hat er mich regelrecht aufgefordert, das Anwesen
in Besitz zu nehmen!
Jetzt hoffe ich auf Gudruns Enthüllungen, auch wenn ich ahne, dass
sie nicht so gesprächig wie Fine Mertes sein wird. Aber vielleicht kann sie mir
etwas über Gerds Vermögensverhältnisse berichten. Wieder erschrecke ich über
mich. Sollte ich nicht viel mehr am Charakter meines Bruders interessiert sein?
Jeglicher Gedanke über das Wesen des zu Tode geschlagenen Gerd
Christensen verfliegt, als ich zum Eingang zurückkehre. Die Haustür steht
sperrangelweit offen!
Das Herz klopft mir bis zum Hals.
»Fass, Linus«, flüstere ich dem Hund ins umgeklappte Ohr und
scheuche ihn hinein. Zum ersten Mal bin ich dankbar für den halben
Staffordshire-Terrier in meiner Obhut. Auch wenn sich gewisse Zweifel regen.
Was, wenn er den Einbrecher nun totbeißt? Würde man mir nachweisen können, dass
ich dem Fast-Kampfhund dazu den Auftrag gegeben habe?
Voller Bangen erwarte ich markerschütternde Schreie und hässliche
Knurr- und Schmatzgeräusche. Aber es bleibt still im Haus. Totenstill.
»Linus?«, rufe ich hinein und trete vorsichtig näher. Der Hund lässt
sich nicht blicken.
Lockt ihn der Einbrecher etwa mit vergiftetem Fleisch? Ich ziehe aus
dem Sperrmüllgerümpel einen wackligen Holzstuhl, packe ihn an der Lehne und
breche ihm mit einem kräftigen Fußtritt ein Bein ab.
Solchermaßen bewaffnet, betrete ich, laut nach dem Hund rufend, das
Haus. Direkt vor mir schwingt die Badezimmertür auf. Ich hole zum Schlag aus.
»Nicht doch, Katja, ich bin es!«, ruft Alf Mertes und biegt mir
rasch das Holzstück aus der Hand. Im Dunkel des Flurs sehe ich Linus auf einem
frisch gesaugten Läufer liegen. Er nagt genussvoll an einem großen Knochen.
»Entschuldigung«, sagt der Bauer, der mich gestern in seinem eigenen
Haus kaum zur Kenntnis genommen hat, »ich habe geklopft, aber niemand hat
aufgemacht.«
»Ich war hinter dem Haus«, entgegne ich freundlicher, als mir zumute
ist. Was weiß ich schon von Eifeler Benimmregeln?
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