Einkehr zum toedlichen Frieden
Deut besser als ihre deutschen Kollegen! Und Langer ist obendrein noch
herzlos. Kann er sich denn nicht in meine Lage versetzen?
Ich komme mir wie ein Todesengel vor, als ich um Gudruns Haus
herumstreiche. Kurz überlege ich, die deutsche Polizei anzurufen. Aber welche?
Wer ist für Gudruns Haus zuständig? NRW oder Rheinland-Pfalz? Und was sollte ich sagen? Dass ich
fürchte, die Frau sei Opfer eines Verbrechens geworden? Weil ihr Vater gestern
in den Wolfgangsee gefallen ist, sie mich zum Essen eingeladen und versetzt
hat? Das klingt in der Tat nicht sehr überzeugend.
Aber ich spüre, dass etwas nicht stimmt. Meine Menschenkenntnis sagt
mir, dass Gudrun ein großes Bedürfnis hatte, mit mir zu reden. Nur ein sehr
wichtiges Ereignis würde sie davon abhalten. Wie zum Beispiel ihre Ermordung.
Na schön, wenn mir die Behörden nicht helfen wollen, dann werde ich
eben selbst recherchieren. Das habe ich schließlich gelernt!
Allerdings habe ich noch nie zu den Journalisten gehört, die, mit
dem Presseausweis bewaffnet, in fremde Häuser eindringen, dort Fotos und
Bettlaken klauen, Schoßhündchen vergiften, Schreibtische aufbrechen, den
Champagner austrinken und das Dienstmädchen zum Sprechen oder sonst wie
verführen. Solche Kollegen verachte ich nur.
Trotzdem werde ich jetzt in Gudruns Haus einbrechen. Sie ist keine
Berühmtheit, der ich ein Verhältnis mit einem anderen Promi nachweisen will.
Sie ist eine Frau, die in einer sehr gefährlichen Gegend wohnt und deren Leben
ich möglicherweise retten kann.
Als sich eine Kellertür öffnen lässt, gehe ich – wie Alf Mertes
heute bei mir – einfach hinein. Ich werfe einen kurzen Blick in geordnete
Kellerräume mit zahllosen Regalen voller Einmachgläser, mit Werkzeugen, der
Heizungsanlage und ordentlich gestapelten Kartons. Ohne das Licht auf der
Kellertreppe anzuknipsen, schleiche ich hinauf und öffne vorsichtig die Tür zu
einer geräumigen Diele. Ich hole tief Luft.
»Gudrun?«, rufe ich und spitze die Ohren, damit mir ein mögliches
Stöhnen nicht entgeht. Meine Knie sind ziemlich weich. Der potenzielle
Angreifer könnte sich ja noch im Gebäude befinden. Ich trete auf die Haustür zu
und öffne sie weit, ehe ich beginne, den Rest des Hauses zu durchsuchen. Im
Notfall werde ich wenigstens schnell rausrennen können.
Ähnlich massive Möbel und bunte Ölbilder wie im Haus meines Bruders.
Die Porzellan-Tassen, die ich Gudrun am Nachmittag geschenkt habe, zieren
bereits den Kaminsims im Wohnzimmer. Ich betrachte sie gerührt.
Plötzlich höre ich etwas. Leise Schritte in der Diele, ein
Schlurfen. Stille. Dann ein dumpfes Geräusch, als stoße jemand mit der Faust
eine Tür auf. Eine Tür mit ungeölten Scharnieren. Das Quietschen wird erstickt,
ehe es richtig anschwellen kann. Leises Schnaufen aus einer Menschennase. Die
Schritte kommen näher.
Zitternd, aber mit unendlicher Vorsicht ziehe ich den eisernen
Schürhaken geräuschlos aus dem Kaminbesteck neben der Feuerstelle. Er ist
schwer und an zwei Stellen zugespitzt, eine wesentlich geeignetere Waffe als
ein Stuhlbein.
Ich schleiche an die offene Wohnzimmertür und verberge mich halb
dahinter. Mein Herz, das eben noch so heftig geklopft hat, scheint kurzfristig
mit dem Schlagen auszusetzen. Ich kann kaum noch atmen. Ein Schatten fällt auf
die Wand im Flur. Eindeutig ein männlicher Schatten, der sich dem Wohnzimmer
bedrohlich lautlos nähert. Mir bleibt nur ein Überraschungsangriff. Sonst bin
ich geliefert. Ich hole tief Luft und stürze mit lautem Geschrei und erhobenem
Schürhaken in die Diele.
Ein stechender Schmerz fährt mir durch die Hand. Mit lautem Klappern
schlägt meine Waffe auf dem Holzboden auf. Und ich daneben.
Tag 4, Montag, morgens
Die Hand schmerzt immer noch, als ich den Reißverschluss
meiner Jeans hochziehe. Ich stutze. Etwas Sensationelles ist über Nacht
geschehen: Die Hosen schlackern fast an mir herum! Und diesmal sind es ganz
bestimmt meine. In mir erwacht die Journalistin.
»Mord statt Sport« titele ich für eine imaginäre Diätseite.
Leises Klappern und unmelodisches Summen dringen aus der Küche.
Marcel Langer, der diese Nacht auf dem gesäuberten Wohnzimmersofa verbracht
hat, ist also noch nicht zum Dienst gefahren und bereitet das Frühstück vor.
Ich freue mich darauf. Schließlich habe ich seit dem Imbiss mit meiner
Putzkolonne nichts mehr zu mir genommen.
Dankbar mustere ich mein leicht geschwollenes Handgelenk. Wie gut,
dass mir der Polizist den Schürhaken
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