Einkehr zum toedlichen Frieden
tun hatte und woran mein Großvater gestorben ist. Meine Güte, als ob es
nicht genug aktuelle Leichen gäbe!
»Wann ist die Beerdigung?«, fragt Jupp.
»Sobald die Leiche meines Vaters freigegeben wird«, beantwortet Hein
meine unausgesprochene Frage nach welcher Beerdigung. »Bis dahin werde ich
leider bei meiner Mutter bleiben müssen, Jupp.«
Der große, breite, so unerschütterlich wirkende Mann seufzt tief und
sieht unglücklich aus.
»Dabei wäre alles doch so einfach!«, rufe ich plötzlich. Die beiden
Männer nicken.
»Was meinst du, Katja, wie oft wir das schon durchgekaut haben«,
sagt Hein. »Keine Geheimnisse mehr. Alle zusammen in einem Haus.«
»Ja!«, versetze ich ungeduldig. »Mit Fine und Jupps Mutter! Mensch,
Hein, das ist doch die perfekte Lösung! Ihr verkauft den Hof, und du ziehst mit
deiner Mutter hierher!« Ich wende mich Jupp zu. »Dann würdest du doch sicher
auch alle Spitzendeckchen wegräumen?«
»Alles würde ich«, sagt Jupp. »Umbauen, anbauen, klöppeln, nicht
klöppeln, alles. Aber …«
»Aber was?«, frage ich.
»Aber die Nachbarn«, antwortet Hein dumpf.
»Was ist mit denen?«
»Gar nichts. Das ist nur der Satz, den meine Mutter sagen würde,
wenn ich ihr reinen Wein einschenkte. Was würden die Nachbarn sagen, wenn die
dahinterkommen, was für eine Männerfreundschaft mich mit Jupp verbindet!«
»Da muss sie eben durch«, meine ich. »Es ist doch dein Leben, nicht
ihres. Und wenn sie dich liebt, will sie dich doch auch glücklich sehen.«
»Sie sähe mich lieber tot als schwul«, sagt Hein leise und setzt
hastig hinzu: »Sie hat sogar aufgehört, Lindenstraße zu gucken, weil ihr da zu viele Perverse auftreten.«
Zwei Stunden später
In seinem Kleinlaster fährt uns Jupp bis kurz vor das
grüne Ortsschild Kehr . Dort trennen sich unsere Wege.
Hein erklärt, durch das Waldstück am Friedhof vorbei nach Hause laufen zu
wollen. Als ich mit Linus auf der belgischen Seite die Bundesstraße entlangmarschiere,
lasse ich den Besuch bei Jupp noch einmal Revue passieren. Die Begegnung mit
seiner alten Mutter, die von meinen Großeltern sprach, als seien sie noch am
Leben und von großen Sorgen geplagt, die liebevolle Zuwendung Jupps, der sein
Lebensglück von dem seiner Mutter abhängig macht und die Herzlichkeit der
beiden Männer mir gegenüber.
Ich habe Freunde gefunden. In der Eifel. In meinem Leben.
Überwältigt von diesem Gedanken, bleibe ich stehen und blicke über
die weite Landschaft Ostbelgiens.
Am Horizont türmen sich dicke schwarze Wolken. Wind kommt auf. Ganz
klar, ein Gewitter kündigt sich an.
Ungeduldig zieht der Hund an seiner Leine. Ich verzichte auf das
majestätische Ausschreiten, das zu meiner Körperfülle gehört, lasse mich
mitziehen und verfalle sogar in eine Art Galopp. Diese ungewohnte Art der
Fortbewegung fordert mir Konzentration ab, die alle Eindrücke dieses Tages, der
mit der schrecklichen Nachricht von Alfs Ermordung begann, aus meinem Kopf
verbannt.
Außer Atem komme ich auf dem Hof an. Und beginne sofort zu zittern.
Nicht vor Erschöpfung, sondern vor Angst und vor Wut. Wieder hat sich jemand
ungefragt Zutritt zu meinem Haus verschafft.
Aber diesmal wurde das Schloss aufgebrochen. Ich greife zu dem
Seidentüchlein mit dem Elektroschocker, bin mir aber plötzlich nicht sicher,
wie das Ding zu bedienen ist und ob es wirklich hilft, wenn ich es einsetze.
Ich schleiche um das Haus herum, kann aber durch die Fenster nichts
erkennen. Also ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche.
Nein, Marcel Langer will ich diesmal nicht anrufen. Hinter meiner
Haustür könnte ein Mörder lauern, und der zerzauste Polizist ist für
Gewaltverbrechen und deren Aufklärung schließlich nicht zuständig. Da kann er
sich noch so aufspielen; ich weiß jetzt Bescheid.
Den Hauseingang im Blick behaltend, kehre ich nah an die Straße
zurück, rufe die Auskunft an und lasse mich gleich mit der Polizeizone Eifel in
St. Vith verbinden.
Schwere Tropfen fallen. Und mitten ins erste Donnergrollen platzt
aus meinem Handy eine sehr vertraute Stimme: »Lokale Polizei St. Vith.«
Tag 5, Dienstag, mittags
Marcel Langer hat die vergangene Nacht nicht in meinem
Haus verbracht. Ich auch nicht. Zu groß war meine Angst vor einer Wiederkehr
des Einbrechers und zu klein mein Vertrauen in Linus, Elektroschocker und
stumpfe Messer. Und in den belgischen Polizeiinspektor, von dem ich finde, dass
er sich mir gegenüber zu viel anmaßt.
»Was kann der Einbrecher denn
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