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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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wecken.«
    »Er erzählt viel, wenn der Tag lang ist«, bemerke ich verärgert.
»Was ist mit der Obduktion meines Bruders? Hat er sich dazu geäußert?«
    »Nein«, antwortet Gudrun, »aber du kannst ihn ja heute Abend fragen.
Er will nach der Arbeit hier vorbeischauen. Habt ihr euch gestritten, oder
weshalb bist du so sauer auf ihn?«
    »Bin ich gar nicht!«, gebe ich vielleicht ein wenig zu heftig
zurück. »Er nervt nur, das ist alles.« Und weil ich keine Lust habe, mit ihr
über den Zausel von Polizisten zu reden, befrage ich Gudrun nach allem, was ich
schon lange von ihr wissen will.
    Während wir die Küche aufräumen, spricht sie zum ersten Mal über
meinen Bruder Gerd. Ich horche auf, als sie erzählt, wie er sich als Kind zum
Außenseiter gemacht hat, aber die Vorstellung, in meinem Bruder eine
tatsächlich verwandte, wenn auch jetzt in anderen Gefilden weilende Seele
gefunden zu haben, schwindet bei Gudruns nächsten Worten: »Er hat sich immer in
den Mittelpunkt gestellt und wurde zu keinem Kindergeburtstag mehr eingeladen,
weil er immer gewinnen wollte und richtig Terror machte, wenn ein anderer
besser war.« Anfangs habe man dem armen mutterlosen Kind wohl zu viel
nachgesehen, und das habe es schamlos ausgenutzt. Damals habe sie ihn nicht
ausstehen können, auch wie alle anderen gedacht, er halte sich für etwas
Besseres, und nicht mit ihm spielen wollen. Nach dem Abitur sei er weggegangen,
habe in Brüssel, Köln und Trier diverse Studiengänge angefangen, aber alle
abgebrochen. Ohne Abschluss sei er vor einigen Jahren mit zweihundert
Bücherkisten plötzlich wieder auf der Kehr aufgetaucht und bei seinem Vater
eingezogen. Er schaffte es, den alten Mann zu überreden, die Landwirtschaft
aufzugeben und die Rinder an Gudruns Vater zu verkaufen.
    »Aber du hast doch gar kein eigenes Vieh mehr?«, werfe ich
verwundert ein.
    »Nein, gar nichts habe ich, nicht einmal Haus oder Grund. Alles hier
gehört der Bank. Das ganze Elend hat mit dem Ankauf von Gerds Kühen seinen
Anfang genommen. Als ob ein Fluch auf der Transaktion lag.«
    Ihr Vater, einst der reichste Grundbesitzer auf der Kehr, teilte ihr
kurz nach dem Rinderkauf eines Abends ganz nebenbei mit, dass sie sich
einzuschränken und gefälligst Geld zu verdienen habe, weil sein Vermögen futsch
sei. Als Begründung gab er nur an, sich verspekuliert zu haben, aber wie, wo
oder warum habe sie nie aus ihm herauspressen können.
    »Ich habe alle seine Sachen durchwühlt«, gesteht sie, »aber nichts
gefunden, keinen einzigen Hinweis auf Börsengeschäfte zum Beispiel. Ich wusste
nur, dass er die Rinder gleich an Alf Mertes weiterverkauft hat.«
    Daraufhin war sie um Rat zu Gerd gegangen. Der war ja in der Welt
herumgekommen, hatte studiert, war belesen und wusste wirklich viel.
    »Tja«, sagt sie, »und da habe ich gemerkt, dass hinter dem Angeber
von früher ein durchaus liebenswerter Kerl steckte. Und einer, der sehr viel
von den Menschen und der Welt verstand. Obwohl er nie wirklich weit gereist
war. Er konnte mir zwar auch nicht helfen, aber von da an haben wir uns gut
verstanden.«
    Zwei einsame Geschöpfe, die sich aneinander gewärmt hatten, übersetze
ich ihren letzten Satz für mich.
    »Zu der Zeit fing ich bei dem Alf mit dem Melken an. Der Alf konnte
den Gerd nicht leiden, ärgerte sich immer darüber, dass dem seine Weide
verkümmerte. Es wäre für den Alf viel näher und praktischer gewesen, die Kühe
im Sommer auf der anderen Straßenseite grasen zu lassen, als sie den weiten Weg
zu uns hinter das Haus zu treiben. Er hat dem Gerd sogar angeboten, seinen
alten Stall wieder herzurichten und das Land zu pachten, aber der Gerd hat das
immer abgelehnt.«
    »Warum?«, frage ich. »Er konnte das Geld doch sicher gebrauchen!«
    »Klar, aber zum Alf sagte er immer, er sei froh, die Kühe los zu
sein, denn mit ihnen kämen die Fliegen, und die sollten nicht auf seine
kostbaren Bücher scheißen.«
    »Wo er doch ganz offensichtlich auf Hygiene keinen großen Wert
gelegt und nie gelüftet hat«, versetze ich.
    »Für den Gerd war das irgendwie ein Spiel. Zu mir sagte er, wenn er
den Alf lange genug zappeln lässt, würde der ihm noch ein ganz anderes Angebot
machen, keine Ahnung, was er damit meinte.«
    »Vielleicht wollte er ihm das ganze Haus und Grundstück verkaufen?«,
überlege ich.
    »Das habe ich ihn auch gefragt, aber da hat er nur gelacht und
gesagt, das komme schon gar nicht infrage. Weiter nachgebohrt habe ich nicht.
Der Gerd hatte viele

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