Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
Wir stiefeln
ein ganzes Stück bergauf, ehe wir in eine Ortschaft namens Losheim kommen.
    »Links immer noch Belgien?«, frage ich.
    Er schüttelt den Kopf. »Da macht die Grenze einen Schlenker. Um das
Dorf herum. Und unten nur um das Hotel Balter herum. Rechts und links davon ist
Belgien. Und die Rückwand ist quasi die Grenze.«
    »Seltsam.«
    »Überhaupt nicht. Ende der Fünfziger wurden die Bewohner in Losheim
befragt, ob sie zu Deutschland oder Belgien gehören wollten. Eine knappe
Mehrheit – ich glaube, es war sogar nur eine Stimme – entschied sich damals für
Deutschland. Da hat’s dann einen richtigen Kleinkrieg gegeben. Mit Mistgabeln
sind die Bauern aufeinander losgegangen.«
    Ob es dabei auch Tote gegeben hat, wage ich nicht zu fragen.
    Wir biegen im Dorf rechts ein. Nach etwa dreihundert Metern deutet
Hein auf ein schlichtes weiß getünchtes Gebäude.
    »Da wohnt Jupp.«
    »Jupp?«
    »Mein Freund. Mein Lebenspartner. Und wenn ich herkomme, schläft die
rote Zora, sprich mein Cabrio, da drinnen. Damit es keiner sieht.« Er zeigt mir
den Schuppen neben dem Haus. »Im Winter muss dann Jupps Pferd raus. Immer ein
Riesenaufstand.«
    »Wegen deiner Mutter?«
    Er nickt mir anerkennend zu. »Sieh an, du lernst doch schnell. Was
meinst du, was die für einen Aufstand machen würde, wenn die das wüsste!
Wahrscheinlich würde sie mich entmündigen lassen und enterben. Und du hast
geglaubt, ich würde mit meinem Cabrio so einfach über die Kehr fahren!«
    Er schüttelt den Kopf und drückt auf den Klingelknopf.
    Jupp ist blond, breit, sehr groß, von jenem Hauttyp, der die Sonne
meiden sollte, und in meinem Alter. Er begrüßt mich mit kräftigem Händedruck,
nimmt mit einem Nicken die Pralinenschachtel entgegen und lässt Hein, Linus und
mich ins Haus vorangehen.
    Hein wirft mir einen warnenden Blick zu, als wir ein Wohnzimmer
betreten, das von Möbeln unterschiedlicher Stilrichtungen, Nippesfiguren,
betroddelten Lampenschirmen und getrockneten Blumen in riesigen Vasen
überquillt. Ich halte Linus an der kurzen Leine, damit er nichts umwirft.
    »Ich kann Jupp nicht davon überzeugen, sich von seinen
Spitzendeckchen zu trennen«, klagt Hein, als er die Tür zu einem angrenzenden Raum
öffnet.
    »Habe ich schließlich alle selbst geklöppelt«, brummt Jupp. Ich
meide Heins Blick. »Als ich mir das Rauchen abgewöhnt habe. Irgendwo musste ich
ja mit den Fingern hin.«
    Er zieht eine verkrumpelte Zigarettenschachtel aus der Hosentasche
und hält sie mir hin. Als ich ablehne, zündet er sich selbst eine an. »Das war,
bevor es überall verboten wurde. Dann habe ich wieder angefangen.«
    »Jupp lässt sich nicht gern Vorschriften machen«, erklärt Hein. »Als
Nichtraucher hat er im Zug früher immer einen Raucherplatz reserviert. Nur für
den unwahrscheinlichen Fall, dass ihn plötzlich die Lust überkommen sollte,
sich eine Zigarette anzuzünden.« Er winkt mich zur offenen Tür des Nebenraums.
    Staunend bleibe ich auf der Schwelle stehen und blicke auf die
schlichte Eleganz eines perfekten Biedermeierzimmers. Mit guten Kopien
bekannter Zimmerbilder von Spitzweg und Schwind an der Wand über dem
Nähtischchen. Das alte Glas der restaurierten Kirschbaumvitrine gibt den Blick
auf eine Sammlung von unbemalten Schulterköpfen aus Porzellan frei. Die Wand
gegenüber beherrscht eine Sofabank, die wie auch die beiden Schaufelstühle mit
Seidenstoff aus dem gleichen Taubenblau bezogen ist, das sich in der diskret
gestreiften Tapete wiederfindet. Und in Jupps strahlenden Augen.
    »Dann hol ich mal den Tee«, sagt er, deutet auf den mit weißem KPM Kurland-Geschirr gedeckten
Kaffeetisch, macht auf dem Absatz eine angedeutete Pirouette und verschwindet.
    Linus streckt sich auf einem Seidenteppich vor der Vitrine aus. Hein
setzt sich auf das Sofa, schlägt die Beine übereinander und erklärt: »Hier bin
ich wirklich zu Hause.« Ohne Übergang fügt er an: »Hast du seine Hände
gesehen?«
    Ich nicke. »Für solche Pranken ist Klöppeln Schwerarbeit.«
    »Allerdings, aber die ist er ja gewöhnt. Früher war er Waldarbeiter,
jetzt arbeitet er auf dem Bau und hilft auch noch bei uns auf dem Hof aus, wenn
Not am Mann ist. Und obendrein macht er ein Fernstudium als Innenarchitekt.«
    Ich breite die Arme aus und erkläre: »Prüfung bestanden!«
    Es wird eine sehr gemütliche Teestunde, in der ich nicht
ein einziges Mal an all die Schrecken der vergangenen Tage denke. Keiner der
Todesfälle ist ein Thema, keine Anspielungen

Weitere Kostenlose Bücher