Einkehr zum toedlichen Frieden
gehört. Dauernd
kehren meine Gedanken zu meinem ungelösten Rätsel zurück. Die von Langer
offenbar auch.
»Ich hatte Nachtdienst, musste die bisher gesammelten Berichte der SOKO studieren und hatte ein
sehr ungutes Gefühl, Sie in dieser Lage auf der Kehr allein zu lassen«, sagt er
und winkt dem Bauern zu.
»Tag, Marcel«, ruft der, natürlich mit der Betonung auf der ersten
Silbe, »kommst du morgen zum Karten?«
»Kann leider nicht«, schreit Langer aus dem offenen Wagen. Ehe ich
irgendetwas fragen kann, setzt er hinzu: »Zumal Sie Gudrun nicht mehr
vertrauen, Finchen Mertes genug um die Ohren hat und Sie sonst niemanden
kennen, bei dem Sie einigermaßen geschützt nächtigen konnten. Und weil ich Sie
mit den Untersuchungsergebnissen konfrontiert und der Lüge überführt habe,
schien mir das der vernünftigste Weg zu sein, Sie aus der Schusslinie zu
bringen. Sie sind gefährdet, solange wir nicht wissen, was der Einbrecher in
Ihrem Haus gesucht hat. Ich hoffe, Sie nehmen mir meine Vorsichtsmaßnahme nicht
übel.«
Antworten kann ich nicht, da er gerade mit einem haarsträubenden
Überholmanöver einen Langholztransporter mit der Aufschrift convoi
exceptionnel hinter sich bringen möchte. Ich atme tief durch, als wir
wieder auf der rechten Spur sind.
»Ich hätte bedenkenlos bei Jupp die Nacht verbracht«, teile ich ihm
mit. »Da wäre es sicher komfortabler gewesen.«
»Dem Jupp vertrauen Sie?«
»Sollte ich nicht?«
»In Ihr Haus wurde eingebrochen, als Sie mit Hein die Höckerlinie
entlangliefen, in Losheim Kaffee getrunken und die Krippana besichtigt haben.
Hein hat Jupp telefonisch darüber in Kenntnis gesetzt. Könnte doch durchaus
sein, dass der, vielleicht auch im Auftrag von Ihrem Freund Hein, Gerds
Arbeitszimmer verwüstet hat.«
»Glauben Sie das?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Nur, dass auch ich diesen
Menschen, die ich mein Leben lang kenne, nicht mehr bedenkenlos vertrauen
kann.«
»Das verleiht eine Ahnung von Heimatlosigkeit«, sage ich leise und
fühle mich Langer mit einem Mal verbundener als zuvor.
Es gibt niemanden mehr, den ich ein Leben lang kenne, aber
ich habe Jupp und Hein vertraut und sie nach ein paar Stunden Gemeinsamkeit für
mich sogar als meine Freunde tituliert. Was hat uns wirklich miteinander
verbunden? Die Freude an einem schönen Biedermeierzimmer, das Lüften eines
Geheimnisses, die alte Mutter und ein Gefühl.
Ein Gefühl! Die diffuseste, trügerischste
und am leichtesten manipulierbare menschliche Regung. Unglaublich, dass gerade
ich mich davon habe einlullen lassen. Als Moderedakteurin weiß ich doch, wie
dieses Klavier gestimmt und dem Menschen eingetrichtert wird, ohne diesen
Stoff, diese Farbe, diesen Schnitt und eben diesen Kauf kein Glück finden zu
können. Man appelliert schlichtweg an den Wunsch des Individuums,
dazuzugehören. In meinem Fall zur Außenseiter-Fraktion.
Als Eventmanager versteht Hein, den Massen eine Veranstaltung
schmackhaft zu machen, und ein Blick auf mich genügte, um seine weitere
Vorgehensweise zu bestimmen.
Marcel Langer hat recht. Hein hat Zeit herausgeschunden, mich in die
Krippana genötigt, eine kleine Bergwanderung veranstaltet und mir mit der
Offenbarung seines Freundes jeglichen Zweifel an seiner Redlichkeit genommen.
Während Jupp in aller Ruhe bei mir einbrechen konnte, bevor er uns Tee
servierte. Klassisch. Der Spion, der seine heimliche Tätigkeit mit der
verbotenen Einfuhr von Waffen tarnt. Wie perfide, mir gerade mit der durchaus
verständlichen Reaktion seiner auf dem Lande lebenden Mutter – was sollen die Nachbarn sagen! – Verständnis für seine Lage
abzunötigen und mich zu seiner Bundesgenossin zu machen. Meine Gutgläubigkeit
ist nur durch die Vielzahl der sich überstürzenden schrecklichen Ereignisse zu
erklären. Und vielleicht durch den Wunsch, aus meiner selbstgewählte Einsamkeit
herauszukommen. Bestimmt eine erste Alterserscheinung. Freunde zu suchen für im
Alter nicht allein zu bleiben und sich das Hochdeutsch zu versauen.
Vielleicht waren die beiden ersten Morde nur ein Ablenkungsmanöver,
um falsche Spuren zu legen und die wahren Beweggründe für den Mord an Alf zu
verschleiern? Wir alle haben Familie verloren hat
Gudrun gesagt, aber keinem von uns geht der Verlust des jeweiligen
Familienmitglieds wirklich nahe. Gudrun und Hein haben unter ihren Vätern
gelitten, und ich habe in dem ermordeten Gerd keinen Bruder gesehen. Der er ja
schließlich auch nicht war.
»Vorsicht!«,
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