Einkehr zum toedlichen Frieden
brülle ich und ziehe die Handbremse, als plötzlich ein
Traktor aus einer Einfahrt auf die Straße einbiegt.
Wir kommen zu einem quietschenden Halt.
Marcel Langer wirft mir einen missbilligenden Blick zu, löst die
Handbremse und erklärt: »Das war völlig unnötig, Frau Klein, ich kenne diese
Straße …«
»… Ihr ganzes Leben lang«, setze ich süffisant hinzu. »Und
wahrscheinlich auch den Bauern, der diesen Traktor fährt und den Traktor
selbst. All diese Faktoren hätten eine Kollision nicht verhindert.«
Ich wende mich um und deute nach hinten auf die Straße. »Sehen Sie
doch selbst, wie lang der Bremsweg war. Sie wären zu spät in die Eisen
gegangen.«
»Ich wäre um ihn herumgefahren«, brummt Langer, ohne sich
umzudrehen.
»In der Kurve?«
»Um diese Zeit ist Gegenverkehr unwahrscheinlich.«
»Aber nicht ausgeschlossen.«
Wie zur Bestätigung donnert uns ein Tanklaster entgegen. Ich sage
nichts mehr, trage aber wahrscheinlich ein sehr selbstzufriedenes Lächeln zur
Schau. Zu Recht finde ich, denn ich habe endlich mal gehandelt, meine
Dackelstarre abgelegt und nicht nur reagiert.
Handeln wird zu meinem Motto des Tages. Als Erstes suche
ich das Mädchen Nicole auf, bei der wir Linus für die Nacht untergebracht
haben. Voller Angst, den geliebten Höllenhund wieder abgeben zu müssen,
versteckt sich das Kind mit Linus vor mir. Ich spreche mit den Eltern, die sich
bereit erklären, das Tier noch eine Weile zu versorgen.
Ein ernstes Gespräch mit Fine steht zwar auf meiner Agenda, aber das
verschiebe ich auf den Abend, da ich erst noch weitere Informationen sammeln
will. Zum Beispiel von Jupps Mutter. Der werde ich diverse Konserven zur
Auswahl mitbringen. Keine Mandarinen, die werden ihr mit Sicherheit inzwischen
in solchen Mengen offeriert worden sein, dass sie um die Gnade anderer
Einmachware betet.
Womit war ein Lebensmittelladen um die Zeit meiner Geburt bestückt?
Maiskölbchen, Sojabohnen, Nasi Goreng sowie Artischocken- und Palmenherzen
scheiden da schon aus. Ich muss ein Lebensmittel finden, dessen Geruch und
Geschmack die alte Frau mehr als vierzig Jahre zurückkatapultieren. In die
Zeit, da meine Großeltern ihren Lebensmittelladen verloren haben, Maria
Christensen in den Bunker gefallen und meine mit mir schwangere Mutter aus der
Eifel nach Berlin abgehauen ist. Die Morde von heute hängen irgendwie mit den
Geschichten von damals zusammen. Davon bin ich überzeugt, auch wenn sonst
niemand in diese Richtung recherchiert. Deshalb muss ich den Film auch endlich
entwickeln lassen.
Bevor ich nach Prüm fahre, statte ich meinem Kälbchen noch einen
Besuch ab. Unglaublich, dass es erst gestern das Licht der Welt erblickt hat!
Anders als menschlicher Nachwuchs, den ich erst im Kindergartenalter meiner
Gattung als zugehörig betrachte, ist dieses Tier schon ein richtiges Rind. Es
steht stabil auf seinen vier Beinen und säuft, was ihm vorgesetzt wird. Erst
kommt es neugierig auf mich zu, rückt aber rasch von mir ab, als ich die Hand
zum Streicheln ausstrecke und es den karnivorischen Menschen wittert. Das ist
kein Gefühl, sondern ein sehr gesunder Instinkt. Der ihm das Leben aber auch
nicht retten wird. Der Schlachter, der in meiner Vorstellung Jupps Züge
annimmt, wird ihm trotzdem den Kopf abschlagen oder was man sonst mit einem zum
Tode verurteilten Nutztier tut.
»Möchtest du melken lernen?«
Ich wirbele herum. In Jeans, Gummistiefeln, mit zurückgebundenen
Haaren und einer Mistgabel in der Hand steht Gudrun vor mir.
»Ich habe echt ein Problem«, fährt sie fort. »Diese Tiere
interessiert es nicht, ob es Sonntag ist, dat Finchen Migräne hat, sich der
Hein seine neuen Schuhe nicht versauen will oder schon wieder jemand ermordet
wurde. Sie müssen gemolken werden, und allein kann ich das auf Dauer nicht
schaffen.«
»Was ist mit Jupp?«, frage ich.
»Der ist auf Arbeit. Deswegen frage ich dich ja. Es ist gar nicht so
schwer. Du wirst den Dreh schnell raushaben.«
»Vielleicht morgen«, weiche ich aus. »Ich habe noch einiges zu
erledigen.«
»Warum hat dich der Marcel denn nach St. Vith mitgenommen? Glaubt
der immer noch, dass du die Mörderin bist? Und warum läufst du dann jetzt frei
herum und verschreckst die Kälbchen?«
Meins hat sich tatsächlich ganz tief in seine Hundehütte
zurückgezogen.
»Gudrun …«, beginne ich zögernd, »bist du gerade sehr beschäftigt?«
»Siehst du doch!«, erwidert sie unwirsch und sticht die Mistgabel in
den Boden.
Ich weiß, dass
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