Einkehr zum toedlichen Frieden
ergreifen. Ich tue, was ich
mein ganzes Leben lang getan habe: andere beobachten, aus ihrem Verhalten
Schlüsse ziehen, Sprüche klopfen und mich selbst bedeckt halten. Damit muss
jetzt Schluss sein. Ende im Gelände. Ich muss mich jetzt selbst in das Rätsel
hineinbegeben, um es zu ergründen. Alle Betroffenen mit meinen Erkenntnissen
konfrontieren und sie zu einer Stellungnahme zwingen. Notfalls auch mit etwas
Gewalt.
Die gerade an meiner Tür angewendet wird.
»Wir haben eine Trennscheibe!«, ruft der Polizist erleichtert. Nach
einigen hässlichen Zahnarztgeräuschen fliegt meine Zellentür auf, und ich
stürze auf die Toilette.
Etwas später
Ich reibe mir die Augen, als ich Langers Schreibtisch
sehe. Anstelle von Computer, Knöllchenbergen und anderem Papierkram ist dort
ein kaltes Buffet aufgebaut. Mit Croissants, Nordseekrabbencocktail, frischem
Orangensaft, Kräuterquark, belgischem Reiskuchen und Eiern im Glas. Und eine meiner
Lieblingskombinationen, die ich ihm wohl in der Saufnacht verraten haben muss:
eine große Scheibe Wassermelone mit Fetakäse. Bevor mich die Rührung übermannt,
schnauze ich den Polizisten lieber an: »Wollen Sie mich etwa mästen? Oder
erwarten Sie, dass ich singe, wenn Sie mir ein gekochtes Ei unterschieben?«
»Nur zu, wenn Sie Ihrer Aussage noch etwas hinzuzufügen haben …«,
erwidert er friedfertig, reicht mir eine Serviette und deutet auf das Buffet.
»Sie können dabei ruhig essen. Der Kaffee ist gleich fertig.«
»Ist das die landesübliche Stärkung vor dem Auftritt beim
Staatsanwalt oder eine Henkersmahlzeit?«
»Ich kann es auch wieder wegräumen.«
»Unterstehen Sie sich. Hungrig begebe ich mich auf keine Reise. Ganz
gleich, wo die hingeht.«
Sie geht nicht zum Staatsanwalt nach Eupen. Als ich nach dem
ausgiebigen Frühstück zu Langer in den Jeep steige, gesteht er tatsächlich,
mich zu meiner eigenen Sicherheit verwahrt zu haben. Er habe berechtigte Sorge,
dass auch ich ein Opfer der um sich greifenden Kehrer Gewalt werden könnte. Er
stelle mir anheim, ihn wegen Freiheitsberaubung anzuzeigen. Aber erst würde er
mich heim auf die Kehr fahren. Heim auf die Kehr. Wie
friedlich das klingt!
»Ich werde es mir überlegen«, sage ich und überlege stattdessen, in
was für eine wunderschöne Umgebung es mich verschlagen hat.
Sehr schnell lassen wir die kleine Stadt hinter uns, fahren bergauf
in Serpentinen durch ein Waldgebiet, kommen an wildromantischen Lichtungen
vorbei und befinden uns plötzlich auf einer Höhe, von der ein Blick über
bewaldete Bergrücken und ein liebliches Tal den Atem stocken lässt. »Der Prümer
Berg«, informiert mich Langer, »gehört auch noch zu Belgien.« Dann geht es
wieder bergab. Unten windet sich abwechselnd zur Rechten und zur Linken der
Straße das Flüsschen Our, wie mich Langer nebenbei informiert.
»Baustellen zu verkaufen«, lese ich ein Schild am Straßenrand laut
vor und frage Langer, ob der Käufer einer belgischen Baustelle Wegezoll erheben
dürfe. »Wozu sollte man eine Baustelle sonst erstehen wollen?«
»Für ein Haus drauf zu bauen«, schnauzt mich der Polizist an und
drückt noch mehr auf die Tube. Ich sollte wirklich netter mit den vermeintlich
deutschsprachigen Bewohnern dieser schönen Gegend umgehen. Also lobe ich beim
Ortsschild Eiterbach das Understatement einer Nation, deren Tourismusbranche es
nicht nötig hat, diesen zauberhaften Flecken umzubenennen und als Paradies
auszuweiden.
»Hier gibt’s doch nichts!«, grunzt Langer, der seinen Jeep für
meinen Geschmack viel zu flott durch die von Schlaglöchern übersäten Kurven
steuert. Bei dem zwar seltenen, aber nicht minder hurtigen Gegenverkehr
schließe ich die Augen. Hier würde ich das Autofahren völlig neu erlernen
müssen.
»Stimmt es, dass man früher seinen Führerschein in Belgien einfach
kaufen konnte?«, frage ich.
»Nun«, weicht Langer aus, »Niederländer kaufen ihre Führerscheine
heute noch auf den Antillen, zusammen mit dem Urlaub dort. Außerdem lernt man
das Autofahren nicht in der Fahrschule.«
Er tritt hart in die Bremsen. Von einem Bauern und einem Kind
angetrieben, überquert eine Kuhherde die Straße. So, wie Alf sich das auf der
Kehr wohl auch vorgestellt hat. Eben mal die Bundesstraße blockieren, weil die
Tiere zum Melken in den Stall gebracht werden müssen. Aber wenn ein einzelner
Hund in Deutschland über die Straße rennt, wird er fast von einem Cabrio
umgenietet … Von einem roten Cabrio, das Hein angeblich nicht
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