Einkehr zum toedlichen Frieden
sie erst um halb fünf zum Melken muss, und nutze die
Gunst der frühen Stunde. Aber ein Ichmussmitdirreden scheint bei dieser Frau unangebracht, die selbst immer bestimmt, was, wann, wo
und wie geschieht. Also platze ich ohne Vorankündigung mit meiner Information
einfach heraus.
»Ich weiß, warum Gerd mit dir Schluss gemacht hat. Er hat erfahren,
dass du seine leibliche Schwester bist.«
Gudrun wird blass, stützt sich auf die Mistgabel und will
protestieren. Ich fahre unbeirrt fort: »Dein Vater hat seine eigene Schwester,
Gerds Mutter, geschwängert und es gewusst. Deshalb war er gegen eure
Beziehung.«
»Nein!«, schreit mich Gudrun an, »nein! Du lügst. Das kann nicht
sein!«
Ich schaue ihr nicht in die Augen, will mich von keinem Elend weich
machen lassen und fahre fort: »Doch. Das hat die Genanalyse ergeben. Gerd war
nicht mein, sondern dein Bruder. Vielleicht habt ihr euch deswegen so gut
verstanden. Zwei Menschen, die ganz unbarmherzig über alles und jeden immer die
Kontrolle behalten wollen.«
Der letzte Satz ist mir herausgerutscht. Ich würde ihn liebend gern
zurücknehmen.
Gudrun zieht langsam die Mistgabel aus dem Boden.
»Du…hu …«, zischt sie, »… hast ihn also doch gesehen. Lebend.« Sie
hält die Mistgabel wie einen Speer vor sich.
»Ja«, gebe ich zu, »ich habe mit ihm gesprochen. Das war aber auch
alles. Ich habe ihn nicht umgebracht. Er, dein Vater und Alf sind alle von
einer Art Faustkeil niedergestreckt worden. Bitte, Gudrun, leg das Ding endlich
weg.«
»Warum sollte ich!«, faucht sie mich an und lässt die Mistgabel
sinken. »Ich muss doch arbeiten! Im Gegensatz zu euch anderen. Und ich glaube
dir kein Wort!«
Sie dreht sich um und stapft auf den Stall zu. Armes Mädchen. Sie
wird mehr zu verarbeiten haben, als nur den Stall auszumisten und zu melken.
Ich wäre ihr gern nachgegangen, um ihr beizustehen und zusammen mit ihr über
all die verlorenen Träume zu weinen, aber dafür fehlt mir die Zeit. Auch ich
muss arbeiten. Nicht um Geld zu verdienen, sondern um im wahren Sinn des Wortes
zu überleben. Ich muss endlich den Film entwickeln lassen. Den hatte ich in der
Aufregung der vergangenen Nacht ganz vergessen.
Auf der Fahrt nach Prüm erkläre ich mich zu einer Närrin, Gudrun
überhaupt verdächtigt zu haben. Nur weil sie so patent, bestimmt und ihrer
selbst sicher wirkt. Ein reiner Schutzmechanismus gegen die Macho-Gesellschaft,
in der sie lebt. Sie wurde von ihrem Vater ausgebeutet und von Alf.
Wahrscheinlich auch von Gerd, der zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse
keine umständlichen Wege einschlagen musste, sondern diese in der Nachbarschaft
ausleben konnte. Die gebieterische Gudrun ist weit mehr ein Opfer, als es meine
Mutter je war. Die hatte ihr Schicksal in die eigene Hand genommen, aus
sicherlich gutem Grund ihre Heimat verlassen und sich in Berlin eine
unabhängige Existenz aufgebaut.
Während ich an dem Mooshaus, das Langer bei meiner ersten Vernehmung
erwähnte, vorbeifahre, bitte ich Gudrun einiges ab. Eine Mörderin ist sie
bestimmt nicht.
Eine ähnlich kurvenreiche Straße wie die von St. Vith zur Kehr nimmt
meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich denke an Traktoren, die plötzlich
aus einer Einfahrt heraustrudeln können, und drossele die Geschwindigkeit. Zum
Glück, denn in einem Waldstück vor Knaufspesch springt plötzlich ein Reh über
die Straße.
Autos mit belgischen, luxemburgischen und niederländischen
Kennzeichen überholen mich. Ungeduldig hupt mich ein Belgier an, aber ich lasse
mich nicht hetzen.
Schwarzer Mann lese ich auf einem Schild, Prüm Air Station auf einem anderen und Wolfsschlucht .
Die bedrohlichen Namen lassen Gefahren ahnen, die in dieser idyllisch
bewaldeten Hügellandschaft lauern.
Prüm begrüßt mich mit einem über die Straße gespannten Band in
Frakturschrift, das zu irgendeinem Musikereignis einlädt. Der Belgier, der es
so eilig gehabt hat und dann hinter einem Holztransporter kleben geblieben ist,
schafft es beim Tempo-30-Schild endlich, den Störenfried zu überholen. Den
Blitz aus dem Starenkasten vor der Kreuzung gönne ich ihm.
Die Aufschrift Polizei zu meiner Linken
interpretiere ich als höheres Zeichen und halte kurz entschlossen an.
Polizeihauptkommissar Josef Junk empfängt mich freundlich, spricht
mir sein Beileid aus und bemerkt wie nebenbei, ich hätte gut daran getan, meine
Aussage endlich zu vervollständigen. Er weidet sich kurz an meiner Verblüffung,
dass ein erst vor wenigen
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