Einkehr zum toedlichen Frieden
hatte.
Der Polizeiinspektor nickte.
»Er ist mit dem Hinterkopf unglücklich auf den Rand aufgeschlagen
und könnte eine kurze Zeit benommen gewesen sein. Was sich der Mörder zunutze
gemacht hat. Er hat ihn mit dem faustkeilartigen Gegenstand erschlagen. Danach
den Bergkristall aus dem Laden geholt, ihn mit Gerds Blut präpariert und so
hingelegt, dass es aussehen musste, als wäre Gerd darauf gestürzt. Was wir
zunächst ja auch geglaubt haben.«
»Wegen Totschlags kann ich also nicht angeklagt werden«, sagte ich
erleichtert. »Werden Sie mich jetzt wegen unterlassener Hilfeleistung
festnehmen?«
»Zum Beispiel«, sagte der Polizist. »Aber darüber sprechen wir
morgen. Wussten Sie, dass Gerd Christensen ein steinreicher Mann war?«
»Was!«
»Ja. Geldscheffeln schien sein Hobby gewesen zu sein. Ein echter
Dagobert Duck. Er hat kaum was ausgegeben, nur eingenommen.«
»Und wo kam das Geld her?«
»Das wird zurzeit noch geprüft. Saubere Geschäfte waren es bestimmt
nicht. Ich dachte, Sie würden fragen, wo es hingeht.«
»Wohl kaum zu mir, wenn er nicht mein Bruder war«, gab ich zurück
und forderte Langer auf, jetzt sein Versprechen zu halten und mir endlich zu
verraten, wer mein Vater war.
»Ich habe Ihnen alles gesagt. Das war der Deal. Jetzt sind Sie
dran!«
»Wie heißt das Zauberwort mit den zwei t?«
»Aber flott!«
Er lachte, wurde aber sofort wieder ernst und sagte ohne Umschweife:
»Karl Christensen.«
Ich verstand gar nichts mehr. »Wieso das denn? Dann war Gerd doch
mein Bruder!«
»Nein, weil er nicht Karl Christensens
biologischer Sohn war. Sondern zweifelsfrei der von Werner Arndt.«
Wie lange ich mit offenem Mund dagesessen habe, weiß ich nicht mehr.
Irgendwann beugte sich Marcel Langer vor und schloss ihn mit einem Stups unter
mein Kinn.
»Ja, das ist schlimm«, sagte er nickend. »Hat nicht einmal vor der
eigenen Schwester Halt gemacht, der alte …«
Er brach ab.
»… Schweinehund«, vervollständigte ich erschüttert seinen Satz,
während mir Szenen aus Franz-Xaver-Kroetz-Filmen durch den Kopf schossen. Aber
endlich ergab vieles einen Sinn.
»Werner Arndt hat es Gerd verraten! Deswegen also hat er mit Gudrun
Schluss gemacht! Bei Sex mit der eigenen Schwester kamen sogar Gerd Christensen
moralische Bedenken!«, sinnierte ich.
»Gut möglich. Das werden wir nie genau wissen. Aber juristisch
gesehen sind Sie nach wie vor die Erbin.«
»Juristisch hat mich Karl Christensen nicht anerkannt«, warf ich
ein. »Nur in Briefen, die vor Gericht sicher nicht verwertbar sind.«
»Und in einem weiteren handschriftlich verfassten Schreiben an
seinen Anwalt, das dem Testament beigelegt war. Auch der Brief ist nie
abgeschickt worden.«
»Gerd hat also die Schriftstücke abgefangen, aber warum hat er sie
nicht sofort vernichtet?«, fragte ich.
»Auch das werden wir nie wissen«, antwortete Marcel Langer.
»Vielleicht hat ihn seine Sammelleidenschaft für schriftliche Unterlagen jeder
Art davon abgehalten. Er war ein echtes Eichhörnchen, hat alles aufgehoben. Die
Kollegen machen Überstunden, für sich durch all die Papierberge zu ackern, die
wir hier rausgeschleppt haben.«
Und dann forderte er mich auf, in seinen Jeep zu steigen und mit ihm
nach St. Vith zu fahren, wo ich in einer Sicherheitszelle die Nacht verbringen
sollte. »Wegen Fluchtgefahr«, bemerkte Langer nicht sehr überzeugend.
An der Tür dieser Zelle wird jetzt gerüttelt.
»Frau Klein, sind Sie wach?«
»Ja, und ich muss wieder aufs Klo.«
Es wird weiter gerüttelt. »Verdammt, wir haben hier ein Problem!«
»Untertreiben Sie nicht«, brülle ich Marcel Langer durch die Tür an.
»Es ist mein Ernst. Ich kriege die verdammte Tür nicht auf! Der
Riegel rührt sich nicht!«
»Ich muss dringend!«
Während eine halbe Stunde lang draußen alles Mögliche ausprobiert
wird, geht mir drinnen alles Mögliche durch den Kopf. Ich sitze in einer
Polizeizelle gefangen, die sich von außen nicht öffnen lässt. Es sei denn mit
Gewalt. Ich sitze in einem Rätsel gefangen, das sich von außen nicht lösen
lässt. Wie dann? Zum ersten Mal dämmert mir, dass mich Marcel Langer eingesperrt
haben könnte, weil er mich vor Gewalt schützen will. Drei Männer haben ihr
Leben durch Gewalt verloren, und meine eigene Geschichte, die irgendwie mit der
dieser Männer verwoben ist, soll nicht auch noch ein blutiges Ende finden.
Bisher habe ich mich nur treiben lassen, auf Handlungen
reagiert, ohne selbst wirklich eine Initiative zu
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