Einmal auf der Welt. Und dann so
dann, was mit der Zeit kam.
Ich sehe den ganzen Heuberg, in den die Mauer übergeht. Der in den Himmel übergeht.
Und die Heiligen, die auf den Gräbern stehen.
Die meisten hat man weggetragen. Man hat mir erzählt, dass früher alles voller Engel stand, dass es praktisch nur Engel gab. Mit den Jahren wurden die Engel verkleinert, erschienen zunächst im Marmorrelief. Jetzt hat es auch damit sein Ende. Man hat die Engel herausgenommen für andere Zwecke. Die kleinen dienen als Krippenfiguren, den großen hat man die Köpfe abgeschlagen. Zwei stehen noch. Man soll sie stehen lassen, meinte das Komitee von »Unser Dorf soll schöner werden«.
Mein Lieblingsengel, der kurz vor der Landung erstarrt sein muss, stand in der hintersten Reihe.
Lisi, die das Grab einer am Ende des vorigen Jahrhunderts verstorbenen Urgroßtante zu betreuen hatte, wollte es für Allerheiligen nicht mehr herrichten. Es ging ja doch keiner mehr zu diesem Grab. Und wer hätte es auch tun sollen. Dieses Grab war einfach übrig geblieben, und keiner hatte eine Erinnerung an diese Tante.
So hat Lisi den Engel einem Alteisenhändler mitgegeben und bekam dafür einen Kanister Salatöl.
Die meisten Engel sind schon vor Jahren weggeschafft worden, als ich noch nichts zu sagen hatte. Ich habe auch heute noch nichts zu sagen, doch die Leute merken, dass die Engel weg sind.
Verschwunden.
Die letzten zwei sollen unter Denkmalschutz gestellt worden sein. Die schönen Linden um den Friedhof ebenso. Die Weiber schimpfen jedes Jahr, weil das Laub so viel Sauerei macht.
Lisi hat, kurz bevor sie starb, ohne dass sie eine Ahnung davon gehabt hätte (sie lag nämlich über Nacht am anderen Morgen tot im Bett), den Steinmetz angehalten, als er gerade vorbeifuhr. Als sie am Samstagnachmittag mit dem Besen im Hof stand. Als um vier Uhr die Glocken den Sonntag einläuteten. Als er gerade vom Rosengarten kam und den Schmittenbühl hinauffahren wollte, und hat ihm gesagt, »sie well no emol en Angl, dassrs beizeit wiss«.
Der Steinmetz sagte ihr aber sogleich, einen Engel könne er nicht mehr machen.
»D'dei Vaddr hotz doch au kenne, derr hott seiner Lebdig lang nu Angl g'machd.« Die beiden einigten sich auf der Hausstiege, dass der Steinmetz anderswo einen Engel auftreiben solle. Falls er keinen Engel für Lisi finde, werde er einen stilisierten Engel anfertigen. Das Wort stilisiert fiel zwar nicht, der Steinmetz sagte nur: »I machs denn e so, dämme muindt, dass en Angl ischd wia uffm Graab vode Läne und ufm Griagrdengkmol«, wo er einen stilisierten St. Michael, den Ortsheiligen, gemacht hatte, und Lisi nickte, »no isches readt«. Sie wollte aber wenigstens, dass man sehen könnte, dass es sich um einen Engel handelt. Etwas genauer als auf dem Kriegerdenkmal. Der Steinmetz meinte, er würde das schon hinkriegen.
»Geischd obaachd, me zaaled, wass koschd«, rief sie ihm noch nach.
Sie wollte einen Engel mit Palmzweig. Ich sehe, dass Lisi unzufrieden wäre mit ihrem Grabstein. Sie hat nämlich wie alle anderen anstatt des gewünschten Engels ein Kreuz im Flachrelief bekommen. Einen Palmzweig, der von rechts nach links über die Worte »Gott sprach das große Amen« geschwungen ist, kann man allerdings erkennen.
Lisi hat bekommen, was am Lager war.
Als der Steinmetz nach Lisls Leicht mit dem Katalog zu Fritz kam, um ihm die lieferbaren Modelle zu zeigen, meinte Fritz: »Nimm, wa de witt, 's def bloos it meh wia dreitoused Margk koschde. D'Lisl siedts doch nimme.« Der Steinmetz, der nur noch ein Grabsteinhändler und Grabsteinlieferer war, hatte dem Fritz noch gesagt, dass die Lisi einen Engel für ihr Grab bestellen wollte. Doch im ganzen Katalog war kein Engel, und Fritz winkte ab, »Awa, seil geits au no, dees hobme heit nimme, me nimmd, wass geit. Do machemer gar kui Theadr.«
Als ihr Sarg vor der Leichenhalle stand und das halbe Dorf kam, Lisi das Weihwasser zu geben, was so viel heißt, wie an der Beerdigung teilzunehmen, konnte man wegen des Lärms die liturgischen Texte kaum verstehen. Das war auch gar nicht nötig, denn ich und die anderen kannten den Wortlaut einer katholischen Beerdigung auswendig. Es fängt an mit »Zum Paradiese mögen Engel dich begleiten«. Damit ist jeder gemeint, der schon halb im Boden liegt. Also war auch Lisi gemeint.
Eine einfache Beerdigung. Lisi war nicht im Kirchenchor. War nicht bei der Musikkapelle. Keine Kriegsteilnehmerin. Also kein gesungenes Auferstehn wirst du, kein Ewige Ruh und auch keinen Guten
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