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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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här. No ischder eigschdigge. D'Gsangverei hot Nun ade du mein lieb Heimatland gsunge. No isches ganz ribig worre. Ahls hot gwungke und gschraue uff Widdrsähn. Wo de Zugg in Wald neigfahre ischd, hommer no im Rauch noglueged, bimmern nimme gsie hond. No simmer huim.« So Lisi.
    Zu Fuß nach Hause, großer Schmerz.
    »Ich habe fast alles vergessen und erinnere mich nur noch, dass ich weggefahren bin«, sagt der Auswanderer.
    Lisi wollte früher einmal auswandern. Hat es aber aus Gründen, die ich nicht kenne, nicht so weit gebracht. Was sie für Gründe hatte, an Auswanderung zu denken, worin sich ihre Gründe von meinen Gründen unterschieden, weiß ich nicht. Früher sollen viele aus Liebeskummer ausgewandert sein.
    Sie hätte aber einen Pass haben müssen.
    Auf dem Foto steht das halbe Dorf.
    Die Einzelheiten sind entsprechend klein. Die mit den kleinen Einzelheiten verbundenen Namen und Umstände. Die Tränen in den Augen der Davonfahrenden. Diese auf dem Bild nicht auszumachenden Tränen. Das Bild ist schwarzweiß.
    Lisi steht als Kind dabei. Ich erkenne sie. Hat keine Blumen in der Hand. Nicht einmal ein Sträußchen. Auch nicht die Andeutung von Blumen auf dem Bild. Der kleinteilige Schmerz belässt es bei der Erinnerung und den Jahren, die vergangen sind.
    Die Auswanderungsgeschichten, mit denen ich groß geworden bin.
    Angefangen mit meinem Onkel, der in Giseh hängenblieb und nur als halber Mensch zurückkehrte.
    Angefangen mit dem Onkel, der das grobschlächtige Patagonien nicht mehr verlassen will und von seinem Küchenfenster aus die Anden überblickt, das herrliche Patagonien.
    Angefangen mit meinen Onkeln, die wie andere Onkel im Osten hängenblieben, weiß Gott wo gefallen sind und liegen bleiben (geteilter Schmerz, doppelter Schmerz).
    Ausgewandert. Die Welt hat sich als rund herausgestellt, diese Angeberin.
    Der teure Krieger ruht fern der Heimat.
    Das Kriegerdenkmal ist ein Ersatzgrabstein.
    Das Kriegerdenkmal ist ein Erzengel. Mehr als ein Engel.
    Von den Daheimgebliebenen ein Erzengel und ein Schreiben vom Vaterland.
     
Der Heuberg, der meiner Traurigkeit entgegenkam
     
    Wenn es Traurigkeit war, was es war.
    Seine Wälder, mein Meer, meine Wellen. Wenn du kannst, fließ zurück. Du kannst nicht.
    Das ist der Roggen, höher als der Weizen. Das ist der Weizen, blond, und später als die Gerste mit ihren Spelzen. Ist der Weizen blond, das ist der Sommer. Der Sommerwind, zwischen den Halmen hin und her. Der Himmel die Hauptperson mit ihrem Wind und ihren Wolken.
    Der Abendfriede, das Abendrot. Dem Abendrot folgt das Abendgrau. Die Kinder gehen zu Bett. Die Nachtfrau kann kommen.
    Ich darf auf den Kirbemarkt, wenn ich brav bin bis dahin. Ich bekomme ein kleines Lebkuchenherz, das ich essen kann und das mir nicht schmeckt. Ich lasse es angeknabbert liegen. Es kann hart werden. Mäusefutter. Nächstes Jahr möchte ich etwas anderes.
    Das Kind geht ungern ins Bett. Das Kind steht ungern auf. Es muss geweckt werden. Man stellt ihm einen Wecker neben das Bett. Wenn es brav ist, darf es in den Ferien liegen bleiben, solang es will. Aber dann wird es geweckt, und es heißt: Du hast jetzt genug geschlafen. Geh aufs Feld. Dort fährt es mit dem Traktor auf und ab. Der Heuberg kommt ihm auf halbem Weg entgegen, was sage ich: seine Traurigkeit. Was sage ich: seine grauen Wolken. Das Wetter kommt vom Westen. Ist es da, kann es regnen. Dann fahre ich nach Hause, damit das Futter nicht nass wird.
    Ich kann in die Stube. Meinen Atlas überfliegen. Hier bleiben. Den Heuberg überfliegen, vom Fenster aus. Die Augen sind scharf. Was zählt, weiß ich nicht.
     
Mein Blick auf altes Eisen
     
    Ich sehe kein Land mehr. Nicht mehr klarzumachen. Im nächsten Dorf ist alles, aber auch alles ganz, aber auch ganz anders. Angefangen mit der Sprache.
    In den guten Jahren, die auf die schlechte Zeit folgten, war alles möglich auf dem Land.
    Und außerdem standen da nun auch noch überall Mengele-Landmaschinen mitten in den Feldern ihrer unaussprechlichen Erinnerung.
    Was krumm war, sollte gerade werden. Es wurde begradigt. Zuerst war es der Dorfbach, der begradigt wurde. Er kam unter Verschluss. Wegen der Ratten, hieß es. Dann die Straße. Sie bekam einen Namen. Seither kann man auf einem Schild lesen, wie die Straße heißt, die bis dahin die Straße hieß.
    Ernstle bekam Geld vom Straßenbauamt, damit er sein Fachwerkhaus abreißen ließ.
    Es stand, vom Straßenbauamt aus gesehen, in einer Kurve.
     
    Unser Friedhof ist

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