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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Hause, wenn es dunkel war. Nachts war's die Nachtfrau, tagsüber der böse Onkel, früher. Früher hörte ich schon Geschichten von früher, und ich fragte Großvater: »Wann war das, früher?«
    Längst ist die Nacht die schönere Seite des Tages. Ich habe nicht mehr vor dem Einschlafen im dunklen Zimmer Angst.
    Kein Mut des Seefahrers. Ich komme vom Land.
    Was ist das: der Mut der Seefahrer, das Einsteigen in Richtung Westen und dann an einer Ostküste ankommen? Über die Oberfläche des Meeres. Ist es nur der Ausfall der Angst? Der Ausfall meiner Angst?
    Über den Mut vergangener Zeiten kann ich nur staunen. Sie haben in die Höhe gebaut, und wenn es von oben herunterfiel, haben sie von vorne angefangen.
    Sie haben immer von vorne angefangen. Sie haben nie etwas Fertiges gesehen. Aber sie haben den Plan gemacht und haben angefangen damit. Das war im Mittelalter. Doch ich möchte am liebsten im Bett liegen bleiben. Nicht aufstehn, wenn ich müde bin, und auch, wenn ich nicht so mutig bin wie die Starken von einst.
     
    Ich habe keine Theorie des Glücks mehr.
    Ich weiß, dass mein Glück anderswo war.
    Von einigen Heiligen heißt es, sie seien gleichzeitig hier und dort gewesen.
    Das war nur den größten Heiligen vorbehalten. So wurden sie auch bald heiliggesprochen. Sie hatten die Gnade der Bilokalität, wie die Theologen sagen. Die Gnade, gleichzeitig hier und dort zu sein.
    Ich war hingegen überall, wo ich war, nur halb, ohne die Gnade der Bilokalität. Fertig.
    Fertig kommt von Fahren. Fertig heißt fährtig, heißt zur Abfahrt bereit.
    Meine kleinen und kleiner werdenden Erinnerungen, die weggezauberte Warze, zum Beispiel, die ich mit einem Kreuzzeichen und meinem festen Glauben von meiner rechten Hand weggezaubert habe, bei Vollmond. Andere behaupten, der Vollmond sei richtig, aber man müsse über die Warze pinkeln und dran glauben. Das mag ein oberschwäbisches Gerücht sein.
    Die vielschichtigen Erinnerungen. Der konsekutive Schmerz.
    Meine alte Großmutter, fast neunzig Jahre alt geworden, sagt immer, so weit sie zurückdenken könne, es sei fast nichts Schönes dabei gewesen. Andererseits sagt sie auch, es sei alles sehr kurz gewesen, es komme ihr so vor, wie einmal das Dorf hinauf- und hinuntergelaufen. Und die Arbeit von früh bis spät, wie vom Himmel bestimmt oder vom Lauf der Sonne bestimmt.
    Das hat auch Sokrates gesagt, als er sich selbst Mut zum Abschied zusprach. Ich sage vorläufig, sie hat recht, er hat recht.
     
Ausgeschrieben
     
    Der Baumgarten und sein Gras mit den Gänseblümchen im Vorfrühling waren schön. Die Kastanien, die ich im Herbst für die Rehe sammelte, sackweise, waren schön. Mein Gigi, der schon lange tot ist, war schön und kostete viele Tränen. Mein Caro, der eines schönen Sommermorgens vor der Haustür überfahren wurde, war schön und kostete viele Tränen.
    Meine Küken, für die ich keine speziellen Namen hatte, waren schön. Ich hatte sie mit dem Geld aus der Haushaltskasse, über die keiner einen Überblick hatte, sodass ich ohne weiteres zwanzig Mark herausnehmen konnte, auf der Hühnerfarm geholt. Mit dem Nachbarn, dem Fahrrad, der großen Einkaufstasche. Die zehn Kleinen wurden aus dem Brutkasten genommen und in die Tasche gelegt. Dann ging's zurück. Doch die Glucke nahm die Neulinge nicht an Kindes statt an. So kamen sie alle um und starben einen vorzeitigen und unsinnigen Hühnertod. Die einen wurden der Reihe nach vom Relle im Baumgarten gefressen. Die anderen fielen ins Tränkebecken und ertranken. Die Alte passte nur auf ihre eigenen drei Kleinen auf. Ich hatte geprahlt mit meiner Glucke und ihren dreizehn Kleinen, die ausgeschlüpft seien. Doch nur drei haben überlebt und konnten Monate später geschlachtet werden, indem man ihnen den Kopf vom Leibe trennte. Doch sie waren schön.
    Die Arbeit im Wald mit der Motorsäge, die meine rechte Hand verunstaltete, war schön. Die Arbeit in der Fabrik war schön. Das Auf und Ab auf den Feldern zu allen Jahreszeiten, jahrelang.
    Ich selbst war schön. In der Wiege unter dem Christbaum. Unter der Bettdecke. Du warst, freilich, schön. Du und die anderen.
    Das Aufstehen vom Bett war schön.
     
    Was für ein Satz: »Ich werde dich nie verlassen.« Zumindest ein Irrtum.
     
Der gute Tod 

    (An der Friedhofsmauer im Himmelreich, gegen Abend)
    Dieser Heuberg, der meiner Traurigkeit entgegenkam, wenn es Traurigkeit war.
    Eine aus mehreren Gründen vergangene Welt. Einmal, weil so und so viel Zeit vergangen ist. Und

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